Harald Kegler
Planen ohne Plan
Das kann man ja nun gerade
nicht behaupten: es gäbe keine Pläne! Wir haben doch in unserem so weit
gefächerten System der öffentlichen Planung in Deutschland geradezu ein
Übermaß an Plänen. Und dennoch: wir haben keinen Plan. Es soll hier nicht,
wie eine Vermutung nahe legen könnte, einer Planwirtschaft aus der Zeit
stalinistischer Kommandowirtschaft das Wort geredet werden. Und dass eine
Marktwirtschaft immer Konflikte mit staatlicher Regulierung und öffentlicher
Planung hat, gehört zu den Binsenweisheiten. Darum soll es nicht gehen.
Das deutsche Planungssystem zählt zu den weltweit ausgefeiltesten;
Deutschland ist das wohl am besten „überplante“ Land. Dabei hat Planung
einen unbestritten wichtigen Beitrag für die soziale und wirtschaftliche
sowie ökologische Stabilität des Landes geleistet. Bei aller Kritik z. B. am
hohen Flächenverbrauch durch Besiedlung und Verkehr kann mit berechtigter
Genugtuung festgestellt werden, dass es (noch) nicht zu gravierenden,
planungsbedingten Katastrophen gekommen ist, abgesehen von kleinräumigen
Fehlschlägen wie sie sich z. B. bei Elbe-Flut 2002 gezeigt haben. Verglichen
mit den katastrophalen Versäumnissen in den USA wie sie beim jüngsten
Hurrican-Desaster am Golf von Mexiko deutlich wurden, könnte die deutsche
Raumordnung und Stadtplanung eigentlich zufrieden sein.
Das Problem liegt woanders: Die Planung in Deutschland scheint, so die
These, an ihr „Ende“ gekommen zu sein. Sie hat als reaktive Planung auf den
Industrialisierungsprozess wichtige Ausgleichs- und Vorsorgefunktionen
übernommen und dabei beträchtliche Erfolge erzielt. Sie hat nun, da weite
Teile des Landes eine „postindustrielle Landschaft“ geworden sind, die
langfristige Steuerungsfunktion eingebüßt. Es fehlt der „große Plan“ für die
neue Ära.
Am folgenden Beispiel der Sanierung der Braunkohlebauregionen in
Ostdeutschland, einem der größten öffentlichen Planungs- und Bauvorhaben,
das es in Deutschland in den letzten Jahrzehnten gab und das seinesgleichen
in der deutschen Geschichte sucht, soll dies umrissen werden. Allein die
Zahlen bestimmten die Auswahl des Beispiels: Für die Sanierung der
stillgelegten Braunkohle- und Uranbergbaugebiete wurden in etwas mehr als
einem Jahrzehnt jeweils ca. 9 bis 10 Mrd. €, also knapp 20 Mrd. € „in den
Sand“ gesetzt worden. Es hat der gewaltigste Landschaftsumbau – in so kurzer
Zeit – stattgefunden, den es in Europa je gegeben hat. Ein ähnlicher Prozess
findet im thüringisch-erzgebirgischen Uranbergbaugebiet statt:
Die Hintergründe der Braunkohlesanierung
In Mitteleuropa entstand zwischen 1995 und 2005 (letzte Arbeiten laufen noch
bis 2010) eine weltweit einmalige neue Kulturlandschaft – die Landschaft
nach der Braunkohle. In diesem Jahrzehnt wurde zwischen Harz und Zittau,
zwischen der Oder und Saale in den ehemaligen Braunkohlerevieren um
Bitterfeld und Merseburg, im Südraum Leipzig und in der Lausitz ein Gebiet
neugestaltet, das einer Ausdehnung von 280 mal 80 km entspricht. Es ist
durch den Menschen in einem atemberaubenden Tempo die Bergbauwüstungen in
eine attraktive Seenlandschaft verwandelt worden. Damit vergrößert sich die
Wasserfläche der Bundesrepublik um ein Drittel – ein seit der Eiszeit nicht
mehr da gewesener Vorgang, nur diesmal allein durch Menschenhand als
Sanierung stillgelegter Tagebaue. Die Umgestaltung einer Landschaft in
diesen Dimensionen und der Zeit hat es nicht gegeben – man könnte von der
Schaffung einer neuen, „Welt-Kulturlandschaft“ sprechen. Die ehemals 224
sog. Restlöcher des Braunkohletagebaus, also Gruben aus über 100 Jahren
Bergbau, sind nunmehr in 800 Projekten der Braunkohlesanierung
zusammengefasst worden. Sie bilden – nach Abschluss der Sanierung - zusammen
die neue Kultur-Landschaft. Die Tagebaue sind nicht nur sicher und
nachnutzbar gemacht worden, sie wurden auch gestaltet. Der Bund und die
Länder Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie Thüringen haben bisher
mit etwa 7,5 Mrd. € (bis 2010 etwa 10 Mrd. €) dieses einmalige Programm
finanziert und mit zahlreichen Sanierungs-Unternehmen, Gestaltern, den
Kommunen und Landkreisen sowie einer Vielzahl lokaler Initiativen dieses
Vorhaben umgesetzt. Gelenkt wurde dieser Prozess durch den Steuerungs- und
Budget-Ausschuss, eine dem Finanzministerium nachgeordnete Instanz zur
Bereitstellung und Kontrolle der Sanierungsgelder. Durch die Lausitzer und
Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) hat den gigantischen
Umbau organisiert und vollzogen. (www.lmbv.de)
Der Braunkohlebergbau hat über 150 Jahre die Landschaft, die Städte, die
Menschen geprägt. Er viele überhaupt erst in diese Regionen gebracht. Nun
ist dieses Zeitalter zu Ende. Die Folgen sind auch schmerzhaft –
Arbeitslosigkeit war die Folge, Wohnungsleerstand und große Brachen
entstanden. Die getätigten Investitionen der öffentlichen Hand in die
Sanierung der Bergbaufolgelandschaften haben sich auf den ersten Blick
gelohnt. Sie haben sich vor allem gelohnt für die Wiederherstellung des
Wasserhaushaltes, der die Basis für die Wiedergewinnung einer ökologischen
Balance und langfristiger Nutzung ist.
Die „10 Eimer“ und der Bodensee: nach dem großen Abbau folgt das große
Wasser
Zum Vergleich: Um zu einem Eimer Braunkohle zu gelangen mussten etwa 5 Eimer
Wasser abgepumpt und in die Flüsse abgeleitet werden sowie 4 Eimer Erdreich
abgetragen und verkippt werden, d. h. ein Verhältnis von 1:5:4. Von dem
einen Eimer Kohle wiederum blieb jedoch effektiv nur ein Viertel, das als
Strom beim Verbraucher ankam, der Rest “verschwand“ durch Verluste bei den
Dampfmaschinen, bei der Stromübertragung und nicht zuletzt durch den
Eigenverbrauch der Tagbaugroßgeräte.
Aus Braunkohletagebauen können aber nicht einfach nur durch „Reinlassen“ des
Wassers wie in einer Badewanne Seen werden. Die Probleme sind die steilen
Böschungen und die Versauerung des aufsteigenden Wassers. Beides sind eine
große Gefahren. Rutschungen, die lawinenartig auf mehreren hundert Metern
Länge abgehen können, besitzen eine enorme Zerstörungskraft. Sie würden eine
Nachnutzung dieser riesigen Areale verbieten. Und sauere Gewässer verbieten
jedwede touristische oder wasserwirtschaftliche Nutzung. Deshalb waren die
großen Anstrengungen notwendig, um die Landschaft auch nach der Stilllegung
des Bergbaus wieder für den Menschen oder für die Natur gewinnbar zu machen.
Es mussten alle Böschungen auf ein Verhältnis von etwa 1:10 bis 1:25 Neigung
abgeflacht werden, damit eine Rutschungsgefahr gebannt wird. Das geflutete
Wasser stabilisiert die Böschungen. Die dabei sanierten Grubenkanten
entsprechen einer Strecke von Paris bis Berlin, also weit über 1000 km.
Umgerechnet bedeutet dies: 1m³ Böschungssanierung kostet durchschnittlich
etwa 0,5 €. Für die Sanierung des Berzdorfer Tagebaus bei Görlitz heißt das:
Hier wurden 77 Mio. m³ Erdreich bewegt – ein Berg von etwa 4x4x4 km. Dies
kostet 125 Mio. €, verteilt auf 8 Jahre. (Kegler, 2005, LMBV)
Insgesamt sind über 500 km² neue Kulturlandschaft entstanden, mit
ausgedehnten Seen und neuen Uferbereichen. Dies entspricht der Fläche des
größten Binnensees Mitteleuropas, dem Bodensee, und dem 100fachen des
größten europäischen Landschaftsgartens, dem Muskauer Park von Pückler an
der deutsch-polnischen Grenze aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts.
Beeindruckende Werte, wenn man hinzurechnet, dass dies alles zwischen 1993
und 2010 entstanden sein wird. Doch der erste Blick genügt nicht.
Für diesen Umbau ganzer Regionen wurde eine große Planungsmaschinerie
geschaffen, die unter Maßgabe des Schaffens von bergrechtlicher Sicherheit,
möglicher Vermarktung der „rekultivierten“ Landschaften und der
Wiederherstellung eines ausgeglichenen Wasserhaushaltes ein wahres
„Planungsgebirge“ erstellte. Im Kern geht es bei der Braunkohlesanierung um
die Planung der Böschungssanierung (Stabilisierung), um Vorbereitung für
touristische Nachnutzung bzw. die Ansiedlung von Unternehmen und die Planung
des Flutungsprozesses der Gruben. Der größte Teil des Geldes geht in die
Böschungssanierung, wird also „in den Sand“ gesetzt. Dies ist eine
Voraussetzung für die Nachnutzbarkeit. Es wäre natürlich auch denkbar, die
Zugänglichkeit der Grubenareale zu verhindern und dann diese sich selbst zu
überlassen, also eine gezielte Sukzession herbeizuführen, wie das bis in die
1950er Jahre meist geschah und wie es weltweit immer noch zum großen Teil
geschieht – einfach aus Kostengründen. Doch zwei Gründe sprachen dagegen:
Zum einen gab frühzeitig die politische Übereinkunft, dass die Sanierung der
Braunkohle- und Uranbergbaugebiete in Ostdeutschland eine enorme
Symbolwirkung besitzt, nach der die Hinterlassenschaften der DDR durch die
Bundesrepublik bewältigt werden können und auch damit Grundlagen für die
Zukunft in Ostdeutschland gelegt werden. Zum anderen ist dieser Kraftakt
auch sachlich begründet. Das schlagartige Brachfallen so großer Gebiete
hätte die Gebietskörperschaften überfordert; ohne staatliche Unterstützung
wäre kaum die Absperrung der Areale, geschweige denn die Sanierung möglich
gewesen. Es bedeutete eine enorme politische Anstrengung, diese Beträge aus
der öffentlichen Kasse, d. h. aus Steuermitteln, bereitzustellen.
Doch genau hier entstehen die Fragen nach verpassten Gelegenheiten:
Inhaltlich handelt es sich im Grunde um eine Standardaufgabe, doch die
zeitliche und räumliche Dimension sowie die länderübergreifende Aufgabe
übertraf alles, was es bisher an vergleichbaren Sachverhalten gab. Das hebt
sie als besondere Planung heraus. Die Planungs- und Umsetzungsmaschinerie
mit dem Sanierungsbeirat, dem Bund-Ländergremium, welches die finanzielle
und politische Lenkung des gesamten Prozesses vornahm, mit dem Steuerungs-
und Budget-Ausschuss als Steuerungsgremium, mit der LMBV als
Sanierungsumsetzer und die jeweilige regionale Planung als staatlicher bzw.
kommunaler Seite der Raumordnung und Bauleitplanung ist ein System
entstanden, das zwar die Gewähr bot, die gewaltige Bauaufgabe zu
realisieren, doch eine „kreative Sanierung“, eine strategisch ausgerichtete,
ganzheitliche Umgestaltung der Industriefolgelandschaft zu einem ökologisch,
sozial, wirtschaftlich uns kulturell anspruchsvollen „Gesamtkunstwerk des
21. Jahrhunderts“ – analog zu den vorindustriellen Landschaftswerken des
Dessau-Wörlitzer Gartenreiches oder der Muskauer Anlagen von Fürst Pückler
gelang nicht oder nur ansatzweise. es wurde weitgehend insular geplant und
saniert. Das klingt ernüchternd.
Die bergrechtliche Vorgabe der „Sicherheit nach dem Ende des Bergbaus“
dominierte diesen Planungsprozess. Das ist nichts Neues. Dem wurde dann die
touristische Nachnutzung beigefügt – auch das überrascht nicht. Und
letztlich folgte die Vermarktung der Areale als Möglichkeit, neue
Arbeitsplätze zu schaffen und die staatlichen Haushalte mit Verkaufserlösen
wieder etwas aufzufüllen. Auch das sind keine ganzheitlichen Ansätze, eher
pragmatische Vollzugshandlungen. Minutiös wurden (werden) alle Details
geplant, werden Flutungsszenarien durchgespielt, Böschungsabflachungen,
Begrünungen und Wanderwege geplant. Flankiert werden diese bergbaulichen
Sanierungsplanungen von raumordnerischen Planungen sowie von verschiedenen
Fachplanungen zur touristischen Nachnutzung, zur Landschaftsgestaltung oder
Verkehrsführung. So entsteht letztlich überall das Gleiche: eine riesige
Seenfläche für Tourismus und, partiell für Naturschutz. Man kann eigentlich
nichts beanstanden, denn im traditionellen Verständnis ist planerisch alles
weitgehend richtig gemacht worden. (Vgl. Landesentwicklungsplan Sachsen, S.
72; Braunkohleplanung Westsachsen, S. 26 ff)
Obwohl es sich um eine rein staatliche Angelegenheit handelte, der Staat als
Souverän tätig geworden ist und Geld zur Verfügung stand, wurden
übergreifende, ganzheitliche und zugleich anspruchsvolle Resultate nur
partiell bzw. nur durch „Unterwanderung“ der Planungsstrukturen,
gewissermaßen „außerplanmäßig“ erzielt. Dies ist z. B. im Falle Ferropolis
und der Landschaftskunst Goitzsche bei Bitterfeld, oder bei der
Internationalen Bauausstellung in der Brandenburgischen Lausitz geschehen.
Diese wurden natürlich nur möglich, weil es die Strukturen der Sanierung und
die entsprechenden Finanzierungen gab (gibt), jedoch waren sie nicht in dem
Planungssystem selbst angelegt, sondern entstanden durch das Engagement
Einzelner und durch außerhalb der Bergbausanierung existierender
Institutionen, wie dem Bauhaus Dessau oder Landesinstitutionen wie der EXPO
2000 GmbH in Sachsen-Anhalt oder IBA GmbH in Brandenburg. Diese wirkten in
die etablierten Planungsstrukturen hinein und konnten partiell das
Planungssystem „erweitern“. Die dadurch erzielten Ergebnisse sind heute
Aushängeschilder einer erfolgreichen Braunkohlesanierung. Vor allem dadurch
wurden die zweifelsohne sinnvollen Resultate, wie die Sanierung der
Wasserhaushalte nach dem Ende des Bergbaus, für die Öffentlichkeit
erkennbar.
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Die Sanierungsmittel wurden „überplanmäßig“ für eine anspruchsvolle
Gestaltung der Uferbereiche eingesetzt – alles blieb jedoch strikt im Rahmen
der genehmigten Finanzen. Eine Wasserfront mit einem Aussichtsturm, einer
Marina und Landschaftskunstwerken wurden geplant – die Landschaftskunstwerke
sowie der Pegelturm, noch auf dem Trockenen stehend, entstanden, bevor der
Tagebau künstlich geflutet wurde. Damit wurde dieser Bereich durch
Konzentration von Sanierungsmitteln für eine höherwertige touristische
Nutzung ausgewählt. Bis zur EXPO waren erste Zeichen zukünftiger Nutzung am
Ufer geschaffen worden, die Planung für die endgültige Sanierung und Flutung
war aber noch nicht abgeschlossen; das Planfeststellungsverfahren lief noch.
Alles verlief planmäßig, bis zum August 2002.Das Hochwasser der Mulde
durchkreuzte die technischen Planungen. Im Zuge des Braunkohleabbaus war der
Fluss in den 1970er Jahren verlegt worden. Ein großes Deichbauwerk riegelte
den Fluss vom Tagebau Goitzsche ab. Im Verlauf der Flut suchte sich nun die
Mulde ihr altes Bett wieder und durchbrach den Deich. Keiner der
Sanierungsplaner hatte damit gerechnet, dass an dieser als absolut sicher
eingestuften Stelle der Deich brechen würde. Innerhalb von zwei Tagen war
der Tagebau geflutet, was sonst 5Jahre gedauert hätte. Der Planungsprozess
war noch nicht abgeschlossen, doch der Tagebau war geflutet. Alle technische
Akribie hatte den Blick für das Ganze verstellt; der technische Ablaufplan
hatte die Sicht auf die ökologischen Gesamtzusammenhänge in den Hintergrund
gedrängt. Jetzt waren Tatsachen geschaffen worden. Die Umsetzungsmaßnahmen
für die touristische Nutzung konnten beschleunigt werden. Doch das
Planfeststellungsverfahren, was nunmehr eigentlich obsolet geworden ist,
wurde trotzdem durchgeführt – ein immenser planerischer Aufwand, der an
einen Schildbürgerstreich erinnert. Doch ist dieses aus Verfahrensgründen
notwendig, damit nicht später etwaige rechtliche Ansprüche von Betroffenen
geltend gemacht werden können, wegen Verfahrensfehlern ... In dieser
Hinsicht wird Vorsorge getroffen. Rechtliche Rückversicherung ist ein
oberstes Prinzip der Planung. Langfristige ökologische Vorbeugung bleibt im
Rahmen der gesetzlichen Notwendigkeiten und des technischen Ablaufplanes
gefangen. Der Deich ist an gleicher Stelle und nach der gültigen DIN-Norm
wieder erstellt worden.
Bereits 1995 gab es hingegen den Vorschlag und eine Entwurfsplanung vom
Bauhaus Dessau (die Arbeiten am Bauhaus Dessau „Die Mulde – Visionen für ein
Flusseinzugsgebiet“ wurden von Helen Mayer-Harrison und Newton Harrison,
Ulrike Schacht, Leo Sztatecsny, Rainer Weisbach und Eric Lord, unterstützt
vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung Sachsen-Anhalt,
vorgenommen), im Zuge der Sanierung der Grubenböschungen, einen Teil des
Flusses wieder in den Bereich des ehemaligen Bettes zurückzuverlegen, um
eine Durchgängigkeit des Gewässerlaufes wieder zu ermöglichen. (Stiftung
Bauhaus Dessau, 1995) Dies wurde nicht realisiert, da dies erhebliche
Zusatzaufwendungen bei der Sanierung bedeutet hätte und wohl weniger
attraktiv für die Touristen gewesen wäre. Anstelle dessen wurde ein
symbolisches Kunstwerk errichtet, das den Verlauf des Flusses markierte. Im
Zuge der Flut suchte sich die Mulde ihr altes Flussbett wieder. Der Schaden
war enorm. Ob das entworfene sog. Umgehungsgerinne ausgereicht hätte, kann
nur gemutmaßt werden. Der Ansatz aber zielte in die richtige Richtung, denn
der Entwurf für das Umgehungsgerinne entsprang der Betrachtung des gesamten
Einzugsgebietes der Mulde, also vom Erzgebirge bis zur Mündung in die Elbe
bei Dessau. Hier lag ein Ansatz für eine ganzheitliche, grenz- und
ressortüberschreitende Betrachtung des ökologischen und funktionalen Systems
vor. Obgleich es beim Regierungspräsidium Dessau zu dieser Zeit eine
länderübergreifende Arbeitsgruppe gab, die sich mit den ökologischen
Problemen des durch die Chemieindustrie der DDR verursachten
Umweltbelastungen der Mulde beschäftigte, blieben deren Arbeiten im rahmen
der Zuständigkeiten gefangen. Hier wurden vornehmlich pragmatische
Abstimmungen getroffen, die aber nicht im Sinne eines übergreifenden Planes
für die langfristige Wiederherstellung des Gewässersystems im Einzugsbereich
der Mulde anzusehen sind.
Zweifelsohne waren ein solches Hochwasser und die daraus resultierenden
Zerstörungen nicht vorhersagbar. Doch muss eingewandt werden, dass derartige
Ereignisse zukünftig keine Ausnahmen bleiben werden. Bekanntermaßen schlagen
die Klimaveränderungen, die zu einem Teil auch auf die Braunkohleverstromung
der vergangenen Jahrzehnte zurückzuführen sind, nunmehr auf die Verursacher
zurück. In welcher Weise kann nur vage vorher gesagt werden. dass aber die
bisherige insulare Planung den zukünftigen Herausforderungen nicht gerecht
werden kann, dass eine übergreifende Strategie, die solch grundsätzlichen
Fragen Rechnung trägt, d. h. risikominimierend und präventiv angelegt wird,
zwingend erforderlich ist, demonstriert dieses Beispiel hinreichend.
Eine Planung für das gesamte Einzugsgebiet des Flusses sowie für besonders
risikobehaftete Abschnitte zeigt die Richtung notwendigen Denkens an. damit
ist aber noch nicht der Komplexität des gesamten Wassersystems und der
Veränderungen in nächster Zukunft Genüge getan. Obwohl mit der Flutung der
ehemaligen Tagebaue ein enormer Zuwachs an Gewässerfläche entsteht, werden
weite Teile Ostdeutschlands zukünftig eher Trockengebiete sein, eine Art
Savannenbildung setzt ein. bereits heute klagen viele Landwirte über
Wassermangel. Auf diese gravierenden Änderungen sind die planenden
Institutionen nur unzureichend eingestellt, das Planungsinstrumentarium der
Raumordnung ist darauf nur bedingt ausgelegt, mehr noch, die Struktur der
Raumordnung verhindert geradezu ein Denken und Handeln in großen
Zusammenhängen, länderübergreifend und an langfristigen, existenziellen
Fragen orientiert.
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Der B-Plan wird nun vollendet.
So war es möglich, mit Ausnahmegenehmigungen des Ordnungsamtes und
vorläufigen Gestattungen des zuständigen Bauamtes bzw. der Aufsichtsbehörden
den Bau der „Stadt“ voranzutreiben, zwischenzeitliche kulturelle Nutzungen
vorzunehmen, ungewöhnliche Planungsverfahren (Charrettes)
durchzuführen, Grubenwanderungen und Kunstprojekte zu veranstalten, also
Visionen für die Bergbaufolgelandschaft insgesamt zu entwickeln, ohne dass
ein festgefügter Plan den Weg verstellte oder einmal gefundene Lösungen
zementierte.
Die Vision der „Stadt aus Eisen“ hat die Planungen bestimmt. Die
bergbaulichen Sanierungspläne, das Regionale Entwicklungskonzept, eine
Machbarkeitsstudie, ein Masterplan und technische Ausführungspläne für den
Bau von Ferropolis folgten dieser – die „normale“ Bauleitplanung blieb auf
der Ebene der Vorläufigkeit und wird quasi nach dem Bau die Rechtssicherheit
für die weitere Entwicklung ermöglichen. Der Zustand der „Zwischenplanung“
erlaubte den Fortgang des Baus und der frühzeitigen „Zwischennutzung“,
wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg des Projektes. Wäre ein B-Plan
frühzeitig beschlossen worden, hätte er mehrfach geändert werden müssen,
wären große Verzögerungen unausweichlich gewesen, ja hätte eventuell das
gesamte Vorhaben an „Überplanung“ im Verfahren sterben können.
Am Beginn dieses Projektes stand der „große Plan“ eines Industriellen
Gartenreichs, einer Landschaft nach dem Bergbau, die die ganzheitliche
Vision des historischen Dessau-Wörlitzer Gartenreiches aus dem 18.
Jahrhundert für das 21. Jahrhundert in neuer Weise zu interpretieren suchte.
Ferropolis war das Herzstück dieser Vision, ein lebendiger Ort, der
Geschichte respektiert ohne sie widerspruchsbefreit zu musealisieren, der
offen ist für neue Entwicklungen, der Denkmalschutz nicht als Dogma
betrachtet und dennoch beachtet, der vor allem der Region eine neue
Identität verliehen hat und ihr Perspektiven eröffnet, die ausgestaltet
werden können. Die vorhandenen Mittel der Braunkohlesanierung, aber auch
andere, so der Strukturfond der EU und Landesmittel, boten die Voraussetzung
für diese Gestaltung – hier wurde sie ganzheitlich genutzt. Dieser „Plan“
war parallel zur Sanierungsplanung entstanden und vermochte sie dank des
Engagements der Handelnden Vorort zu orientieren. Damit war Ferropolis eine
Ausnahme, aber auch ein Vorreiter für vergleichbare Aktivitäten in der
Brandenburgischen Lausitz, die ab 2000 dort eingeleitet wurden.
Ab 2004 nun hat die LMBV eine neue Entwicklungsphase nach dem Abschluss der
technischen Sanierung der Bergbaufolgelandschaft eingeleitet: der Verkauf
der sanierten Areale nach dem Prinzip der Meistbietenden. Der Ferropolis
umgebende See, der ehemalige Tagebau Golpa-Nord, bald der Gemminer See,
wurde als einer der ersten Tagebauseen in Ostdeutschland 2005 privatisiert.
Die Tochter des Pharmakonzerns „ratiopharm“, die Blauwald GmbH, erwarb das 6
km² umfassende Wasser-Areal um Ferropolis herum. (MZ, 27. 01. 2005) Der
zukünftige See, nebst Uferzonen, wurde von der LMBV verkauft. Es ist kaum
anzunehmen, dass dies ein Einzelfall bleibt. Auch hierfür gibt es keinen
übergreifenden Plan. Die Privatisierung solch riesiger Flächen, die durch
staatliche Gelder aufbereitet wurden und die der öffentlichen Nutzung
dienen, ist ein Präzedenzfall. Niemand würde ernsthaft die Privatisierung
des Bodensees betreiben - mit den Bergbauarealen soll dies offensichtlich
geschehen.
Die Sicht auf das Ganze
Die Braunkohlesanierung, wie der offizielle Fachbegriff für dieses
„Jahrhundertwerk“ lautet, war in Dimension und Zeitrahmen eine historisch
neue Aufgabe. Somit war niemand darauf vorbereitet – weder die
Bergbausanierer noch die planerische Fachwelt, abgesehen von Ausnahmen wie
dem Bauhaus Dessau, Initiativen in der Lausitz oder in Sachsen, die dann zu
jenen „Ausnahmeprodukten“ der Landschaftsentwicklung führten, welche heute
Aushängeschilder sind. Diese Initiativen waren die Ausnahmeinstitutionen,
die nicht Teil des Planungssystems waren. Vielleicht konnten sie nur deshalb
das Besondere erreichen. Sie sind eine Art „Planlosigkeit“ im festgefügten
System der vielen Pläne. Die Braunkohlesanierung folgte dem Grundmuster, das
der räumlichen Planung im Wesentlichen generell zu Grunde liegt:
- Probleme werden primär als technische gesehen und mit technischen Mitteln
zu lösen sein;
- Planung ist separiert nach Zuständigkeiten und folgt nur in diesem Rahmen
den Notwenigkeiten;
- die Lösung der Gesamtaufgabe wird behandelt wie die der einzelnen Aufgabe,
d. h., die Umgestaltung der Tagebaufolgelandschaft erfolgt wie die Sanierung
des einzelnen Tagebaus – beim Wasserregime wird der Konflikt bereits
deutlich;
- dem gleichen Muster folgen die Gestaltungsinitiativen in den jeweiligen
Regionen bzw. an den einzelnen Tagebaurestlöchern – jeder „stirbt für sich
allein“;
- grundsätzlich versteht sich der Staat als Vorbereiter privater
Weiternutzung der Bergbauareale, d. h., er saniert die Gebiete und verkauft
sie dann, damit diese durch private Akteure wirtschaftlich nachgenutzt
werden und Arbeitsplätze entstehen, was ganz dem neoliberalen Geiste
entspricht, doch angesichts der Dimensionen, der objektiven Zusammenhänge
des Ganzen und des Mangels an lokaler Wirtschaftskraft zu kurz gedacht ist;
- die wirkliche Erfolgsgeschichte der Sanierung der Tagebaulandschaft (im
technischen Sinne) wird durch Separierung der Bereiche bei der Umgestaltung,
vor allem aber bei der Überführung in die Nachnutzung quasi aufgehoben: der
Verkauf der einzelnen Tagebaue führt zu einer Zerstückelung der
zusammenhängenden Gebiete in räumlich-gestalterischer und funktionaler
Hinsicht; die Chance, der ganzheitlichen Entwicklung wird durch
Parzellierung des gesamten Gebietes vergeben – dies ist kein Plädoyer für
eine Fortsetzung staatlicher Trägerschaft, sondern für eine angemessene Form
im Sinne einer Landschaftsstiftung, eines öffentlichen Fonds unter
Integration von Privaten Akteuren im Sinne wirklicher Partnerschaft.
Fazit: Nur soviel Plan wie notwendig, aber soviel ganzheitliche Vision wie
möglich
Es gibt keinen ökologischen und funktionalen Masterplan für die
Braunkohlegebiete in Ostdeutschland insgesamt. Es gibt für jeden Tagebau
einen entsprechenden Abschlussbetriebsplan und Teilgebietsentwicklungspläne
der staatlichen Raumordnung, die in der Zuständigkeit der jeweiligen Länder
bzw. der Planungsgemeinschaften sind. Letztendlich reduziert sich die
gesamte Planung auf das bergrechtlich Notwendige, auf Ordnen und Sichern
sowie auf den Zweck, einer Verkäuflichkeit des Geschaffenen. Das kann als
eine Art unvollendeter Planung angesehen werden. Vor lauter Plänen geht der
Blick auf das Ganze verloren. Wer aber soll bzw. kann nun eine solche
Gesamtsicht in den Prozess einbringen? Institutionen wie das Bauhaus wären
dazu berufen, als relativ unabhängige Instanzen die Rolle des „strategischen
Querdenkers“ zu übernehmen. dabei besteht jedoch zugleich die Gefahr, in die
Rolle des „Narren“ abgedrängt zu werden. Aber vielleicht liegt ja gerade
darin eine Chance.
Literatur
www.lmbv.de
Kegler, H.: Ferropolis – Die Stadt aus Eisen, Festschrift zum 10.
Gründungsjubiläum, Berlin/Gräfenhainichen, 2005
Bauhaus Dessau, MBV, Landkreis Bitterfeld (Hg.): Bergbaufolgelandschaft
Bitterfeld – Natur aus zweiter Hand, 1995
Mitteldeutsche Zeitung (MZ), 27. 01. 2005: Kein Platz für Luftschlösser
Freistaat Sachsen, Staatsministerium des Innern: Landesentwicklungsplan
Sachsen, Dresden, 2003
Regionaler Planungsverband Westsachsen: Braunkohleplanung in Westsachsen,
Leipzig, 1998
Abbildungen
A) Planung für das Umgehungsgerinne der Mulde bei Bitterfeld – Teil der
Vision für das Einzugsgebiet der Mulde, Bauhaus Dessau, 1994/95 (Entwurf:
Sztatecsny, Schacht), Abb. in: Bauhaus Dessau, MBV, Landkreis Bitterfeld
(Hg.): Bergbaufolgelandschaft Bitterfeld, 1995, S. 20
B) Ferropolis – ein lebendiger, kreativer Ort in der ehemaligen
Bergbau-Wüste, anlässlich der baulichen Vollendung im Juli 2005, Abb. Kegler
Gesamt: 25.500 Zeichen |