(BBR - Regionen der Zukunft - Aufgaben der Zukunft)

Harald Kegler

Quo vadis Industrielles Gartenreich? --www.industrielles-gartenreich.de --

Die Sektgläser sind geleert, die Urkunden bejubelt und die Fahnen in der Korrespondenzregion der EXPO 2000 in Sachsen-Anhalt wurden eingeholt. Eine Ära geht zuende. Zehn Jahre nach der Wende kann auf ein Stück bemerkenswerter Transformationsleistung in einem der dramatischsten Gebiete Ostdeutschlands, der einstigen "Sudelküche" der DDR-Industrie, dem Bitterfelder Raum, zurückgeblickt werden. Der Wettbewerb "Regionen der Zukunft" fokussierte diesen Prozess in seiner entscheidenden Phase, der der Umsetzung von Projekten. Mehrere Preise wurden an das Revers der Region geheftet: Europäischer Preis für Stadtplanung, nationale Bauherren- und Stiftungspreise. Zufriedenheit macht sich breit bei Politikern und Geschäftsführern. Erfolgszahlen zu getätigten Investitionen und geschaffenen Arbeitsplätzen werden präsentiert. Es ist in der Tat beachtenswert.
Die Steuergelder sind sinnvoll angelegt worden, wie Besucher konstatieren. Außerdem entstanden überregionale Initiativen. Ein Magazin der Regionen "et" wurde im Wettbewerbszeitraum gegründet und pünktlich zur Weltkonferenz URBAN 21 der Öffentlichkeit vorgestellt. Auf Initiative der Region Industrielles Gartenreich verabschiedeten die 26 Regionen im Wettbewerb eine "Resolution der Regionen", in welcher die Botschaft vermittelt wurde: "Wir machen weiter", der Prozess der Regionalisierung unter der Maßgabe der Nachhaltigkeit bedarf weiterer Aktivitäten, vor allem der Kooperation, des Erfahrungsaustausches und der Internationalisierung.

Doch folgt die Ernüchterung auf dem Fuße: Ungebrochen hoch sind die Arbeitslosenzahlen. Mit weit über 20% nimmt die Region weiterhin eine negative Spitzenposition im Bundesgebiet ein, aber auch im europäischen Vergleich gehört dieser Wert in die höchste Alarmstufe. Ausländerfeindliche Aktionen, ja sogar ein Mord in Dessau, werden zu Schlagzeilen in der Medienlandschaft. Die Widersprüche sind enorm. Die ökologische Sanierung der Region ist weitgehend vollbracht. Innovative Projekte mit internationaler Ausstrahlung sind - auch befördert durch den Bundeswettbewerb "Regionen der Zukunft" - umgesetzt, bzw. in Umsetzung begriffen. Ferropolis, die Stadt aus Eisen, ist zu einem bundesweiten Begriff geworden. Eine Wallfahrtsstätte der Regionalerneuerung ist entstanden. Die sanierte Piesteritzer Siedlung in Wittenberg wird zum Mekka von Stadterneuerern und Denkmalpflegern, Anfragen für einen Erfahrungstransfer häufen sich. Die Kunstprojekte in der Bergbaufolgelandschaft um Bitterfeld oder die Ansiedlung des Bundesumweltamtes in Dessau ziehen nicht nur Heerscharen von Fachtouristen an.

Die Ernüchterung geht aber noch weiter. EXPO und Wettbewerb haben Aufmerksamkeit auf die Region gelenkt. Sie vermochten aber nicht die entscheidende Frage für die Kommunen zu lösen, wie solche Projekte, die explizit Nachhaltigkeit befördern und durch EU- und andere Gelder finanzierbar sind, dauerhaft mit entsprechenden Eigenmitteln auszustatten wären. Punktuell gelang der "Drahtseilakt", wie die Sanierung der Piesteritzer Siedlung, wie Ferropolis, die Revitalisierung einer Regionalbahn oder die Kunstprojekte in der Bergbaufolgelandschaft zeigten. Doch blieb dies eine Ausnahme, wurde nicht zur Regel. So liegt die Vermutung nahe, dass nur wegen der Sondersituation Weltausstellung und Bundeswettbewerb derartige Konstellationen geschaffen werden konnten. Nun beginnt wieder der bundesdeutsche Förderalltag zur Normalität zu werden, der den ostdeutschen Kommunen und Landkreisen mit ihrer dramatischen Finanznot, bedingt durch exorbitante Arbeitslosigkeit und geringes Steueraufkommen, immer weniger Spielräume für selbstbestimmte und auf Nachhaltigkeit zielende Entwicklungspolitik lässt. Die enormen Transferleistungen der letzten zehn Jahre, die in den "Aufbau Ost" geflossen sind, dienten der ökologischen Sanierung, ja der Gefahrenabwehr, was eine sehr wichtige und nicht zu unterschätzende Leistung war. Sie stärkten aber auch die Ausstattung der Regionen mit "harten" Infrastrukturen und förderten Großprojekte. Die Beförderung einer an Kriterien der Nachhaltigkeit zu orientierenden Entwicklung war hier fast durchweg nicht erkennbar. Eine "doppelte" Modernisierung, d. h. ein Kompensieren der ökologischen Altprobleme aus den letzten 100 Jahren industrieller Entwicklung verbunden mit einer konsequenten, auf Nachhaltigkeit zielenden Infrastrukturpolitik, fand kaum statt. Vielmehr dominierte das Prinzip der "nachholenden Modernisierung", welches die "alten" Verfahren der Strukturpolitik der Bundesrepublik aus den 80er Jahren übertrug und lediglich beschleunigungsfähiger gemacht hat.

Somit hatten die Projektakteure im Rahmen des Wettbewerbs "Regionen der Zukunft" in der Region Industrielles Gartenreich (Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg) stets einen "Ausnahmezustand" herzustellen, um wirklich Nachhaltigkeit zu erreichen. Ein eigens dafür gegründeter wissenschaftlicher Beirat setzte die Meßlatte und konfrontierte permanent die Akteure mit unangenehmen Fragen zur Einhaltung des anspruchsvollen Niveaus. Die tragenden Säulen für die nachhaltige Erneuerung der Region stellten die Kultur- und Kunstprojekte dar. Insbesondere durch die EXPO Sachsen-Anhalt GmbH wurde diese permanente "Störung" durch eigene, regionale Wettbewerbe, durch "Überzeugungsdirigismus", durch die Integration internationalen Fachwissens, die Einbeziehung fremder Experten in die Projektarbeit und die Herstellung einer ständigen Öffentlichkeit des Entwicklungsprozesses, sowohl nach innen als auch nach außen flankiert. Höhepunkt dieser Offenbarung der Region war zweifelsohne die Präsentation der Region zu URBAN 21in Berlin und während der gesamten Laufzeit der Weltausstellung in Hannover als Korrespondenzregion.

Die Jury zum Wettbewerb attestierte der Region Industrielles Gartenreich, Gewinnerin eines zweiten Preises, dass sie insbesondere die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit durch eine vierte, die der Kultur und Kunst bereichert hat und mit praktischen Vorhaben für die Regionalentwicklung sichtbar gemacht hat. Ferropolis und die Kunstprojekte in der Industrie- und Bergbaufolgelandschaft sind beredter Ausdruck dessen. Ein sicher wichtiges Resultat des Wettbewerbs "Regionen der Zukunft", das über die Region Industrielles Gartenreich hinaus Wirkung zeigt und damit Anregungen vermittelt, ähnliche Wege zu beschreiten, wie das z. B. in der Lausitz oder in Norditalien der Fall ist.

Ein weiteres Ergebnis, zu dem die Region mit ihren Aktivitäten nicht unmaßgeblich beigetragen hat, stellt die "Landesinitiative REGIO" in Sachsen-Anhalt dar, die im Frühjahr 2000 verkündet worden ist. Mit diesem Bündelungsprogramm verschiedener EU-Förderprogramme soll "ein weiterer Schritt in der Regionalisierung der Strukturpolitik" gegangen werden. "Das globale Ziel sämtlicher Förderaktivitäten der Landesregierung und damit auch der Landesinitiative REGIO ist die Fortsetzung und Beschleunigung des Wachstum- und Aufholprozesses des Landes sowie die Verbesserung der Arbeitsmarktsituation. Das wirtschaftliche Wachstum muss dabei unter den Bedingungen einer nachhaltigen Entwicklung und der Chancengleichheit von Frauen und Männern erfolgen." In den fünf Regionen Sachsen-Anhalts sollen in den nächsten sechs Jahren 2,5 Mrd. DM für Projekte in der Landesinitiative REGIO reserviert werden. Nun ist es an den Regionen, sich zu verständigen, die Projektpakete zu schnüren und entsprechende institutionelle Voraussetzungen für die Planung und Umsetzung zu schaffen.

Wie ist die gegenwärtige Situation?

In der Mitteldeutschen Zeitung vom 7. Juli 2000 konnte ein Kommentar zum Wettbewerb und zu den Resultaten für die Region Industrielles Gartenreich unter der Überschrift "Ist der Preis ein Irrtum?" gelesen werden. Er soll hier im Wortlaut wiedergegeben werden, weil er auf treffende Weise darstellt, in welcher Situation sich die Region befindet, aber auch welchen Wert der Wettbewerb insgesamt hatte:
"Wer die Nachricht liest, mag diese kaum glauben: Die Region Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg soll ab sofort eine Region der Zukunft sein? Eine erste Bestandsaufnahme fällt ernüchternd aus: Die Arbeitslosigkeit liegt über zwanzig Prozent. Die Kommunen klagen allerorten über knappe Kassen. Der Aufbau Ost geht nur mühsam voran und wird noch Jahrzehnte dauern. Und nun das: Eine hochkarätig besetzte Jury vergibt in einem deutschlandweit ausgetragenen Wettbewerb einen zweiten Preis in eine Region, die voller Widersprüche ist. Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg steht plötzlich auf einer Stufe mit der EXPO-Region Hannover, mit München und Stuttgart, die ebenfalls einen zweiten Preis mit nach Hause nehmen durften. Ein Irrtum also?

Es steckt viel Arbeit drin in dem Projekt "Region der Zukunft", das jetzt und sofort kein Allheilmittel ist. Es wurden Voraussetzungen geschaffen, die Städte und Gemeinden in der Region einander näher zu bringen, um Entscheidungen miteinander abzustimmen. In einem Europa , das immer globaler wird, ist das der einzige Schritt, um sich zu behaupten und die ausgereichten Fördergelder effektiver zu verteilen. Die geleistete Arbeit ist deshalb eine Investition, die keinesfalls belächelt werden sollte. "Region der Zukunft" mag ein Preis ohne Wert sein - doch wer so denkt, ist selber Schuld. Der Name "Region der Zukunft" kann auch ein Gütesiegel werden. Das auszufüllen, liegt an den Beteiligten selbst."

Besser hätte das Ergebnis des Wettbewerbs in der Region kaum reflektiert werden können. Doch nun tritt die Bewährungsprobe in Kraft. Fundamentale Veränderungen stehen nach der EXPO an. Es überlagern sich mehrere Prozesse, die mit diesem Ende eines Entwicklungsabschnittes zu tun haben, aber auch zufällig in diesen Zeitraum fallen. Die Träger des Wettbewerbsvorganges stellten zum Jahresende 2000 - planmäßig - ihre Tätigkeit ein, bzw. orientierten sich auf andere Themen. Andererseits werden eine Gebietsreform in Sachsen-Anhalt eingeleitet, Planungsgemeinschaften gebildet und Kommunalwahlen stehen vor der Tür. Der "Geist" des Wettbewerbs "Reginen der Zukunft" tritt in den Hintergrund. Die "harten" Verwaltungsveränderungen dominieren die öffentliche Debatte. Neue Interessenkonstellationen entstehen. Kooperationsbeziehungen und Netzwerke müssen neu oder wieder gebildet werden. Es wird planungs- und verwaltungsorganisatorische "Normalität" hergestellt. Der "Ausnahmezustand" während der letzten Jahre wird beendet. Das durch die Sonderinstitutionen, Bauhaus Dessau und EXPO Sachsen-Anhalt GmbH sowie das Regionalforum und andere temporäre Institutionen wie Forum Gartenreich, Planungswerkstatt Bitterfeld-Wolfen oder verschiedene lokale Agenda 21 - Gruppen, gelang es, einen kreativen und zugleich umsetzungsorientierten Prozess der nachhaltigen Regionalentwicklung zu initiieren, der wesentliche Beiträge für die Neudefinition einer Identität der Region nach dem Ende des "Zeitalters von Braunkohle" lieferten. Ferropolis oder die Piesteritzer Siedlung sind u. a. Symbole für diesen Identitätswandel. (Abbildungen 1 und 2)

Wie geht es weiter?

Es ist klar: ein simples "weiter so" kann es nicht geben. Man kann einen so konzentrierten Prozess wie "Regionen der Zukunft" nicht unendlich verlängern. Und eine EXPO ist irgendwann zu Ende. Doch kann es auch kein "aus den Augen aus dem Sinn" geben. Dies würde nun wahrlich ein Vergeuden von geistigen, institutionellen und finanziellen Ressourcen bedeuten. Die Perspektive, soweit sie sich derzeit absehen lässt, deutet in drei Richtungen:

A) Neukonstituierung eines kreativen, auf innovative Milieus zielenden Regionalisierungsprozesses von der Basis.
B) Europäisierung der Kooperation und des Erfahrungsaustausches.
C) Weiterführung der Planungskultur des Industriellen Gartenreiches in konkreter Form, die auch im Wettbewerb bereits angelegt war.

A) Mit einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie und dem Kirchlichen Forschungsheim, unterstützt vom Verein Industrielles Gartenreich, Anfang Dezember 2000 in Wittenberg zum Thema "EXPO: das war's - war's das?" wurde, gewissermaßen an symbolischer Stätte, der Auftakt gesetzt, um eine Neukonstituierung der regionalen Akteure von der Basis her zu organisieren. Dabei geht es um eine konstruktive Partnerschaft mit den sich ebenfalls neu konstituierenden "normalen" Planungsinstanzen wie der Planungsgemeinschaft. So kann eine neue Balance zwischen informellen und formellen Institutionen, zwischen Innovationsagenten und kooperierenden Verwaltungen entstehen, die - in anderer Form - in der zurückliegenden Ära der Garant für die "Region der Zukunft" war. Der bisherige wissenschaftliche Beirat wird sich in diesem Prozess ebenfalls neu orientieren. Und die Redaktion des Magazins der Regionen "et" begleitet die neuen Aktivitäten aus einer zunehmend weiteren Perspektive, aber mit enger Bezugnahme auf die Regionalisierung in Sachsen-Anhalt.

B) Die 1999 während der Zukunftskonferenz Mitteldeutschland in Leipzig unterbreitete Idee einer "Europäischen Akademie der Regionen" wird ausgebaut. Am Rande der Weltkonferenz URBAN 21 wurde durch einen Kreis europäischer Wissenschaftler und Planungspraktiker ein Protokoll für die Gründung einer solchen Akademie unterzeichnet und in Wittenberg, in der Piesteritzer Siedlung der Öffentlichkeit vorgestellt.. Die Vorbereitungen nehmen Gestalt an, weitere Partner werden gewonnen. Vor allem aber hat ein europäischer Erfahrungsaustausch zu konkreten Projekten einer kreativen Sanierung von durch den Menschen geschädigten Stadt-Landschaften begonnen.

C) In einem Teilbereich der Region Anhalt-Bitterfeld-Wittenberg, der zugleich seine Fortsetzung über die sächsische Landesgrenze findet, der "Dübener Heide", werden die Ideen und Methoden aus dem Prozess "Regionen der Zukunft" aufgegriffen und modifiziert weitergeführt. Ferropolis bildet dabei räumlich wie symbolisch den "Gelenkpunkt" für das zu erstellende Regionale Entwicklungskonzept. Aber auch die Methode des kooperativen Wettbewerbs wurde aufgegriffen und als Auftakt für dieses REK gewählt, in dessen Ergebnis eine Vielzahl von Projektideen entstanden und eine breite Beteiligung von Akteuren initiiert werden konnte.

Noch ist der Ausgang des Neukonstituierungsprozesses offen und die Frage nicht eindeutig beantwortbar, ob die Auszeichnung als "Region der Zukunft" ein Irrtum war. Es hat ein erneuter Lernprozess in der Region begonnen. Dies scheint die beste Antwort auf diese Frage zu sein. Denn nur so kann den nach wie vor bestehenden Herausforderungen an die Regionalisierung mit der ungebrochen hohen Arbeitslosigkeit und den neuen Herausforderungen aus der europäischen Entwicklung durch den Beitritt neuer Staaten begegnet werden.

Literatur

www.industrielles-gartenreich.com

Stiftung Bauhaus Dessau (Hrsg.): Industrielles Gartenreich - 2, Berlin, 1999

"et Magazin der Regionen", ts Redaktion, Einsteinufer 63a, 10587 Berlin (1. Jg. Nr. 1,2,3/2000)

Mitteldeutsche Zeitung, 7. Juli 2000: Ist der Preis ein Irrtum?, Steffen Brachert

Leitlinie REGIO - Förderung regionaler Entwicklungsprojekte in Sachsen-Anhalt, Magdeburg, 2000

weitere Forschungsprojekte

Gewonnene Planlosigkeit

Sonne, Meer und Sterne:
Florida - die weltgrößte, wachsende Urlauberstadt "New Urbanism": Planung, New York, 1926,
Impulsprojekte Industrielles Gartenreich, 1995

"quo vadis Industrielles Gartenreich? --www.industrielles-gartenreich.de--

"Kooperation mit der Universität Miami – New Urbanism"
Ergebnis der Charrette 1992 --www.cnu.org--

www.charrette.de