Dr. Harald Kegler
Labor für Regionalplanung
(Vortrag an der Universität Miami)
Lutherstadt Wittenberg/Miami, Mai, 2001
www.industrielles-gartenreich.com
Masterplan Vockerode
Bauhaus und New Urbanism - die Gegensätze berühren sich!
Beispiel für ein systematisches internationales Kooperationsvorhaben zur Gestaltung der "Industrie-Folge-Umwelt" - Anzeichen für den Beginn einer neuen Städtebau-Kultur
Das Bauhaus der 90er Jahre wandte sich als wiedereröffnete Gestaltungs- und Kulturinstitution der Auseinandersetzung um die Erbschaft der Moderne und den Folgen des Industriezeitalters an hand exemplarischer Gestaltungsexperimente "vor dessen Haustür" zu (analog zum historischen Bauhaus). Es tat dies mit der Absicht, die Folgen der industriellen Moderne des 20. Jahrhunderts - sichtbar am "Sündenfall Bitterfeld" - als universelle Herausforderung zu thematisieren und mit spezifischen, komplex angelegten Interventionen, sichtbaren "Bauwerken" und internationalen Kooperationsprojekten praktische Beiträge zu liefern. Somit wandelte das Bauhaus seine historische Rolle als Promotor der ästhetischen Moderne auf großindustrieller Basis zu einem Promotor der kulturellen Postmoderne auf sich radikal wandelnder industrieller Basis.
Der Ausgangspunkt für diese konzeptionelle Orientierung war entstanden aus dem Umbruch 1989/90 in der DDR und dem sich daran anschließenden radikalen Wandel in allen gesellschaftlichen Sphären. Dieser Bruch ging einher mit einem Identitätsverlust, der existenzielle Fragen ganzer Regionen stellte. Die einsetzende Deindustrialisierung führte zu einer Massenarbeitslosigkeit und zu einer Entwertung von Städten und Regionen. Es war aber auch ein - vor allem schon zu DDR-Zeiten entstandener Verlust an kulturellen Grundlagen, von historischem Bewusstsein festzustellen, der nun verstärkt wurde und die den Neuaufbau von spezifischen Identitäten der Städte und Regionen mit einer Zukunftsorientierung erschwerte.
Das Bauhaus in Dessau war zwar als Institution bereits 1987 neu gegründet worden - als sog. "Zentrum für Gestaltung der DDR". Doch es hatte kaum Entfaltungsmöglichkeiten gehabt. Im Herbst 1989, mitten in den ersten zaghaften Versuchen sich als Gestaltungsinstitut zu emanzipieren, fand die "Wende" statt - die Mauer fiel. Eine Zäsur deutete sich an. Das Bauhaus hatte in der später als "historisch" bezeichneten Woche vom 4. bis 9. November 1989 ein internationales Planungsseminar zur Stadterneuerung veranstaltet. Die Teilnehmer kamen u. a. aus Israel, Finnland, West-Deutschland oder der Sowjetunion. In diesem "Walter-Gropius-Seminar" wurde die Idee des "Industriellen Gartenreichs" geboren. Diese Idee war aus dem Eindruck der politischen und ökonomischen Umwälzungen heraus entstanden. Sie formulierte die historischen und kulturellen Grundlagen einer Zukunftsgestaltung der Region, ihrer Städte und Landschaften, und umriss die Vision einer menschlichen Lebensumwelt, die Geschichte und Bestand respektiert, wirtschaftlich tragfähig ist und die devastierte Umwelt wieder zu einem attraktiven Wohn- und Freizeitort werden lässt. Erste konkrete Projektvorschläge richteten sich auf die Erneuerung der durch Kriegslücken, autogerechten Nachkriegs-Aufbau und Verfall der alten Bausubstanz geprägten Stadt des Bauhauses, Dessau.
Im September 1990 legte die Experimentelle Werkstatt des Bauhauses - institutioneller Träger der Projekte zum Industriellen Gartenreich am Bauhaus, grundlegende Thesen für die weitere Arbeit vor. Sie hatten eine sehr stark kulturell und ökologisch orientierten Ansatz, der das Erbe des Bauhaus einer Kritik unterzog, zugleich aber das experimentelle Potenzial würdigte. Dies war noch kein Handlungsprogramm, sondern die Dokumentation einer Haltung für die zukünftigen Gestaltungsaufgaben. Das Programm wurde auf der Basis der Entwicklung erster Projekte "geschmiedet" - also erst die Referenzen für die Haltung schaffen, dann das Programm ausarbeiten und in die breite Umsetzung führen. Auch hier ergeben sich Bezüge in der Vorgehensweise mit dem New Urbanism.
Mit dieser Idee, an deren Ausarbeitung wesentlich Harald Bodenschatz, TU Berlin, beteiligt war, wurden in der Folgezeit wichtige Grundlagen für die Etablierung des Bauhauses als neuer, internationaler Institution für Gestaltung. Die TU Berlin gehörte neben Universitäten in Polen, Großbritannien oder Brasilien zu den wichtigsten Partnern in der gesamten Zeit der Entwicklung der Projekte.
These: das Bauhaus der 90er und die Bewegung des New Urbanism haben eine gemeinsame Basis: der Bruch der Moderne infolge des Wandels wirtschaftlicher und kultureller Leitprinzipien ("Postfordismus", Bestandsentwicklung, kulturelle Diversifizierung, ...). Beide unterscheiden sich in der jeweiligen kulturellen Kontexten, historischen Bezügen und gestalterischen Ausdrucksweisen.
Für das Bauhaus der 90er stünden hierfür "Ferropolis", "Piesteritz" und "landart-gardening" in der post-mining landscape, während für New Urbanism Seaside , Civano oder Milwaukee-downtown stehen können. Ihr Ziel war/ist der Umbau der aus den Folgen der Hochindustrialisierung hervorgegangenen urbanen, suburbanen und industriellen Umwelt. Deshalb sind/waren beide keine Produktgestalter im engeren Sinne, sondern orientierten auf die umfassenden Gestaltungsbereiche gesellschaftlicher Räume: STADT und REGION. Diese Gemeinsamkeiten treten hinter die Unterschiede in gestalterischer Hinsicht und in Hinsicht auf die sozio-ökonomischen Bezüge zurück. Das Bauhaus-Projekt entstand unter den Bedingungen ökonomischer Schrumpfung, sozialer Spannung mit extrem hoher Arbeitslosigkeit und radikalem Abbau der strukturbestimmenden Industrie, verbunden mit "planlosem" Wachstum der Städte und Siedlungen an deren Rändern, dem Brachfallen ganzer Regionen und dem schlagsartigen Ändern der Besitzverhältnisse an grund und Boden in Folge der deutschen Einheit. Der Kongress des New Urbanism CNU entstand und entwickelte sich unter den Bedingungen eines Wirtschaftsbooms, enormer Bautätigkeit, geringer Arbeitslosigkeit und Bevölkerungswachstum. Die ästhetischen "Welten" von Moderne (und ihrer aktuellen Interpretation in der europäischen Fachwelt) und neotraditionalistischer Gestaltung der meisten New Urbanism (N.U.) - Projekte, lässt auf den ersten Blick keine direkte Korrespondenz vermuten.
Der europäische Neotraditionalismus (z. B. Schule von Prinz Charles oder "Vision of Europe") hat im Grunde wenig mit dem N.U. zu tun, da diese Ansätze sich nicht als Städtebaubewegung verstehen und nicht die Umbrüche der Industriegesellschaft und ihre räumlichen/sozialen Konsequenzen zum Thema erheben. Sie sind vielmehr eine stilistische Haltung, die sich im Spektrum anderer zu behaupten sucht. Dennoch kennt der aktuelle Städtebau in Europa viele Projekte, die den Haltungen des N.U. nahe kommen, ja vieles davon bereits realisiert haben, was in den USA mit viel Mühe aufgebaut wird, denkt man nur an den öffentlichen Nahverkehr. Es gibt jedoch keine systematische Vernetzung im städtebaulichen Diskurs, der die Kraft einer Bewegung hätte. Deshalb auch die Aufgabe hier: eine Dokumentation der Kooperationsprozesse zwischen einem europäischen Akteur und einer im N.U. aktiven Institution.
Die Vermittlung der "Gegensätze" - besser der Korrespondenzen - zwischen Bauhaus der 90er und CNU erfolgt über eine Bezugsbasis: die Charta des CNU (1993) und die "kongenialen" Thesen der Werkstatt des Bauhauses von 1990 (Anlage):
Drei Stufen der inhaltlichen Kooperation
1. Vorstufe: New Housing in an industrial Village - eine spontane Annäherung und erste Brückenschläge
Beginn der Kooperation: 1992, Charrette Vockerode
Basis:
a) Langzeitvorhaben des Bauhauses Industrielles Gartenreich
(vgl. Stadtbauwelt 110/1991, Thesen der Werkstatt von 1990)
b) Lehrprogramm Town- and Suburbiadesign an der School of Architecture, Methode des Charrette, Prinzipien des späteren New Urbanism (ab 1993 in der Charta gefasst)
Inhaltliche Grundlagen: städtebauliche Weiterentwicklung des Bestandes, Verhindern der Zersiedlung durch bau anspruchsvoller Wohnbereiche im Siedlungsbereich, Integration kultgeschichtlicher Gegebenheiten als Grundlage für die Gestaltung einer zukunftsorientierten Region nach dem Ende des Zeitalters der alten Industrie
Projekt: Industriedorf Vockerode im historischen Gartenreich - Symbolort des Industriellen Gartenreichs (lokaler Ansatz)
Ohne die Diskussion um die Gründung des Congress for the New Urbanism und die in den USA bereits im Entstehen begriffene Charta des N.U., deren wesentliche Koautoren an der Universität Miami wirkten explizit in das Charrette einzubeziehen, schwangen diese Ansätze bei der Entwurfsarbeit mit - sie korrespondierten zwanglos mit den inhaltlichen Prinzipien des Industriellen Gartenreiches - ohne die architektonische Gestaltung der Bebauungsvorschläge in ein Zwangsbett zu pressen ("moderne Bauhaus-Architektur"), gelang ein städtebaulicher Ansatz für die Entwicklung dieses Prototyps für den Umbau einer Industriegemeinde in der denkmalgeschützten Naturnahen Landschaft zu einem attraktiven Wohn-, kultur- und Arbeitsort, der gestalterische Innovation in die Region trägt, diese aber sehr verträglich integriert und doch eine erkennbare Neuerung einfügt - ganz im "Geiste" des aufgeklärten Regenten und Modernisierers Fürst Franz vor 200 Jahren. Der Bebauungsplan enthält alle Kriterien, die dann später in der Charta des N. U. Eingang fanden: Er stellt ein Lehrstück des N.U. dar! Für die Entwicklung des Projektes Vockerode im Industriellen Gartenreich hatten die Ergebnisse nur mittelbare Wirkung, es folgten keine direkten Maßnahmen.
2. Ausgestaltung: Reconvention of an old industrial Area in the sense of CNU-Charta - erste Wirkungen
Weiterführung der Kooperation 1995: Charrette Bitterfeld
Basis und inhaltliche Grundlagen: siehe unter 1.
Projekt:
Umbau des Areals Süd im Industriepark Bitterfeld-Wolfen zu einem urbanen Wohn- und Wirtschaftsbereich, der die existierenden Städte Bitterfeld und Wolfen zusammenführt
(regionaler Ansatz mit Schwerpunkt Umgestaltung alter Industrieareale)
Im Zentrum des Charretts stand der südliche Teil des Chemieparks Bitterfeld mit den Gestaltungskernen Torbogenstrasse (ehem. Kraftwerk Süd), Verbindung zu den nördlichen Arealen (mit dem Gebiet des ehem. Wohnhauses von W. Rathenau) sowie die Umgestaltung der Brachen im Chemiepark zu Mischgebieten.
Die im Jahre 1993 verabschiedete Charta des N.U. spielte direkt auch diesmal noch keine Rolle. Die Aufgabenstellung wich von den sonst üblichen Aufgaben an der Universität, Wohnungsbau, Siedlungsentwicklung und Innenstadterneuerung deutlich ab. Der Gegenstand war nicht für die Studenten neu. Der Umbau altindustrieller Gebiete ist auch in der Charta des CNU von untergeordneter Bedeutung. Um so bemerkenswerter ist das Ergebnis: der Masterplan stellt eine Synthese der Vorstellungen für den langfristigen Umbau des monostrukturellen Gebietes zu einem urbanen Mischgebiet als "Naht" zwischen den existierenden Städten dar. Die Idee eines "Filmparks", eines Landschaftsgartens (Landschaftsstreifens), der wie eine Perlenkette (im Charta - Sprachgebrauch "Korridor") die einzelnen Teile verwebt, gehört zu den Ansätzen, die die weitere Diskussion prägten. Aber auch die Vorstellungen für ein "Zukunftsmuseum" in der Torbogenstrasse ("Venedig in Bitterfeld") erregten Aufmerksamkeit, stellten sie doch innovative Interpretationen der Bestandsentwicklung für Industrieobjekte dar.
Entscheidend war jedoch die Wirkung des Masterplanes insgesamt: Er bildete die Grundlage für die von den Kommunen und dem Landkreis eingerichtete Planungswerkstatt, die vom Bauhaus moderiert wurde, und die 1996 einen umfassenden Masterplan für das gesamte gebiet entwickelte. Dieser erhielt 1998 den europäischen Planerpreis. In ihm sind Prinzipien in einer regionalen Charta (Code) niedergelegt und von den Städten beschlossen worden, wie sie die CNU Charta formulieren, ohne dass sie explizit darauf verweisen. Die Korrespondenz der planerischen Instrumente und der Methode wird ersichtlich: Planungswerkstatt - Charrette, Masterplan, Regelwerk - Code.
3. Verflechtung: Redevelopment of the suburban Region
Weiterführung und Ausbau der Kooperation 1998 mit der Beteiligung am neu gegründeten Bauhaus-Kolleg durch die School of Architecture, Teilnahme am CNU - Kongress in Denver (1998, Aufnahme kontinuierlicher, institutionalisierter Kontakte zum CNU, weitere Teilnahme an den Kongressen in Milwaukee und Portland), Übersetzung der Charta ins Deutsche und erste wissenschaftliche Publikationen in Deutschland zum CNU (Die Alte Stadt 4/98 und Stadtbauwelt 12/2000) sowie Beteiligung am ersten CNU - Awards - Programm 2000/2001
Basis: Erweiterung der inhaltlichen Grundlagen und der Auseinandersetzung um die "Kultur der Bewegungen" in Städtebau und Regionalentwicklung nach dem CNU- Kongress in Denver (erstmals Präsentation des Industriellen Gartenreichs in den USA)
Projekt: "Beyond the Sprawl" Redevelopment of the whole suburban district of Bitterfeld-Wolfen - mit den Teilen
- Erneuerung der Industriebrache Filmfabrik Wolfen,
- Umbau von zentrumsnahem Wohnbaubrachen,
- Reurbanisierung des peripheren Plattenbau-Großsiedlung und
- Erschließung einer Bergbaubrache für eine innenstadtnahe Nachbarschaftssiedlung.
Mit der Aufgabe, Beiträge zur Umgestaltung des "Sprawl" zu leisten, wurde ein weiterer schritt in der Verflechtung der gestalterischen Zielstellungen beider Institutionen vorgenommen. Obgleich die Suburbanisierung in Deutschland nicht deren Grad in den USA erreicht hat und auch sozial nicht direkt vergleichbar ist, ist gerade die im radikalen industriellen Umbruch befindliche, sich stark fragmentierende Industrielandschaft durch besonders rasante Zersiedlung gekennzeichnet. Die Typologie der Gestaltungsaufgaben (und der beabsichtigten Vernetzung der einzelnen Aufgabenbereiche) entstand unter Bezugnahme auf die CNU - Charta und die inzwischen erfolgte Ausdifferenzierung des Industriellen Gartenreiches in Einzelprojekten wie dem Masterplan von 1996 und deren Umsetzung im Kontext der EXPO 2000 sowie der inhaltlicher Vertiefung der ursprünglichen Thesen (vgl. Buch Industrielles Gartenreich, Dessau 1996).
Die Beiträge des Kollegs (nicht nur der USA-Beiträge, sondern auch derer von Universitäten aus Brasilien, München und Berlin) führten in der Teil-Region Bitterfeld-Wolfen zur Formulierung des Ansatzes: Gründung einer neuen Stadt aus den bisherigen Teilen (nicht nur kommunaler Zusammenschluss, sondern qualitative Integration als Reurbanisierung). Dieser Prozess hält noch an und wird systematisch von den lokalen Akteuren weiterverfolgt.
Mit der Neuorientierung des Bauhauses ab 1999 mit der Aufkündigung der internationalen Kooperation entlang der bisherigen Projekte und der übergreifenden urbanistischen Themen (Industrielles Gartenreich und Suburbanisierung) fand dieser Entwicklungsprozess ein abruptes institutionelles Ende an Bauhaus. Der Diskurs wurde jedoch in neuen Trägerschaften weitergeführt - allerdings in einer zunächst weniger umfangreichen Art.
In Vorbereitung auf den CNU-Award 2000 wurde der nächste Schritt zur räumlichen Gesamtvernetzung der Einzelprojekte und Teilbereichsplanungen im REGIONAL-PLAN Industrielles Gartenreich "Between History and Future" unter der Gestaltungsmaxime regionaler Garten vollzogen. Dieser Plan stellt eine Collage der Erneuerungsprojekte, deren kulturhistorischen Grundlagen und räumlich-gestalterischen Verbindungen entlang von Korridoren, Pfaden und Netzwerken dar. Er ist Ausdruck einer Anwendung wie einer spezifischen Interpretation der CNU-Charta. Er schließt auch die kritische Reflektion ein, die insbesondere im Zuge der Übersetzung und Diskussion der Charta stattgefunden hatte, wie z. B. Fragen der gated community, des überproportionalen Neubauanteils gegenüber der Erneuerung, der geringen Anteile von Konversion altindustrieller Areale ("Brownfields") oder architektonischer Qualitäten.
Der "weiße Fleck" wird beschrieben: beim Näherkommen werden die Konturen deutlicher, Gegensätze und Gemeinsamkeiten klarer
Der Diskurs wird fortgeführt: neue Ebenen
a) "Natur" und New URBANISM
Neue Kooperationsvorhaben: in der Referenzregion Industrielles Gartenreich wird ein neues Charrette durchgeführt: das Spektrum der Gestaltungsbereiche wird um das der Landschaft erweitert: Gestaltung an der Grenze von vernetzter Industriefolgelandschaft und bereits zurückgewonnener "Natur" aus frühindustrieller Nutzung. Das Verhältnis von Naturschutz und Gestaltung einer Industriefolgelandschaft ist ein Defizit im N.U., aber auch in der Debatte in Europa um die Perspektiven und das Verständnis von "Naturschutz". Projektort: Industriegemeinde Zschornewitz, Bergbaugebiete und Naturpark.
b) der "Wanderprediger":
Harald Bodenschatz stellt den N.U. an deutschen Universitäten und Hochschulen zur Diskussion - Interesse, aber auch Skepsis regen sich, die öffentliche Diskussion hat - wenn auch sporadisch und zaghaft - begonnen und wird von der Presse z. T. wohlwollend begleitet.
c) die systematische "Aufarbeitung" hat begonnen - ein "typisch deutscher" Beitrag:
Aus mehrwöchigen Exkursionen und verschiedenen Aufenthalten in den USA sowie der Analyse der Literatur und Kongressmaterialien wird eine Publikation, die die Geschichte, die institutionellen Grundlagen, die Projekte, die Kritik und die internationalen Entwicklungsperspektiven des N.U. darstellt vorbereitet.
d) Projekte werden realisiert - ein "typisch amerikanischer" Beitrag:
Investoren beginnen erste Vorhaben mit Architekten die zum N.U. gehören bzw. dazu gerechnet werden umzusetzen. Mit Robert Stern als "Flaggschiff" zieht vermeindlich der N.U. ein: Nobelprojekte in neotraditioneller Architektur. Es entsteht der Eindruck, N.U. sei wirklich nur eine Spielart in der Architektur und keine Städtebaubewegung und orientiere auf die Reichen der Gesellschaft - das ästhetische und soziale Vorurteil wird bestätigt!
Aber: es wird auch das Defizit der europäischen Städtebau - Kultur bestätigt: es gibt keine Bewegung, die übergreifende Ziele verfolgen könnte (siehe Charta) , öffentlich wirksame Referenzprojekte zu schaffen in der Lage wäre (Ausnahme: IBA Emscher Park), disziplinübergreifende Kooperation zu entfachen vermag, kontroverse - aber gemeinsam getragenen - Kongresse veranstalten könnte, die gesellschaftspolitische Relevanz besitzen, und mit alledem praktische Beiträge zur Umkehr von Suburbanisierungstendenzen, sozialer Spaltung und Abrissvorhaben von wertvoller Substanz einleiten sowie die Entwicklung einer öffentlichen Kultur der Umweltgestaltung in Städten und Regionen maßgeblich - auf europäischer Ebene - bewerkstelligen könnte.
Chancen nicht verpassen:
Der CNU kann ohne Europa leben, umgekehrt wohl auch. Doch der sprawl wächst weltweit - gerade in den Ländern, die zu den Ursprungsgebieten der Industrialisierung zählen, Europa und Nordamerika, beginnen sich die Kräfte zu formieren, um dieser neuen "Seuche" zu begegnen. Sie löst nicht die Betroffenheitseuphorie wie BSE in Europa aus, sie schleichender und deshalb trügerisch - doch wird sie von vielen Menschen in diesen Ländern erkannt. Die Regionen dieser erde, in denen die Megastädte wachsen, stehen noch vor dieser kritischen "umkehr" des Denkens. Es müssen aber nicht erste 100 Jahre vergehen, bis das Handlungspotenzial auch dort reift. Es ist ja noch spärlich genug in den "alten Industriestaaten".
Der Weltkongress für die Zukunft der Städte in Berlin im Juli 2000 brachte das Dilemma indirekt ans Licht: die Lage ist ernst, streiten wir weiter über architektonische Stile. Die Architektenschaft war rar, die Europäer und Nordamerikaner - also Weiße - waren in der Überzahl, doch dominierten sie nicht die Debatten, ja es herrschte geradezu vornehme Zurückhaltung angesichts der erdrückenden Aussagen zur Megaurbanisierung in der übrigen Welt. Wie belanglos ist eigentlich unsere Diskussion angesichts dessen, was aus Europa und Nordamerika in diese Weltteile an Konzepten zur autogerechten Stadt, zur Hochhaus-Kultur und zur "Besiedlung des ganzen Landes" geliefert wird? Kämpfen wir vielleicht auf dem falschen Schlachtfeld? CNU und die europäischen Sympathisanten dieser Städtebaubewegung hätten viel Stoff zur Internationalisierung der Debatte. Es sollten nicht gleich Mexiko-City oder Kalkutta sein, die in das Blickfeld zu nehmen wären. Aber z. B. Havanna und Belgrad sind zwingende Themen! Hier würde sich die Kraft des N.U. zu beweisen haben. Hier sollten wir neue Wege und praktische Kooperationsformen beginnen. Die Erfahrungen aus dem Industriellen Gartenreich und der gewachsenen Zusammenarbeit können hilfreich sein und sollten in diesem Sinne weitergeführt werden.
Literatur:
- Stiftung Bauhaus Dessau (1996): Industrielles Gartenreich, Dessau
- Stiftung Bauhaus Dessau (1999): Industrielles Gartenreich - 2, Dessau
- Die Alte Stadt, 4/1998 (Alte Stadt - neu gebaut), Vierteljahreszeitschrift für
Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege (deutsche Übersetzung der
Charta, S. 336 - 342)
- The New City, 1996, Miami, S. 130-131 (Charta of the New Urbanism)
- www.industrielles-gartenreich.com
Anschrift:
Dr. Harald Kegler, Labor für Regionalplanung, Karl-Liebknecht-Platz 21, D-06886 Lutherstadt Wittenberg, harald_kegler@yahoo.com
Anlage:
Thesen der Experimentellen Werkstatt am Bauhaus Dessau, September 1990
(Vgl. Stiftung Bauhaus Dessau (1996): Industrielles Gartenreich, Dessau, S. 273)
1. Es existiert ein globales, existenzbedrohendes, ökologisches Problem, das vor der bauhaus-Tür, in der Region Dessau-Bitterfeld focussiert. Dieses Problem ist ursächlich an die Entwicklung der Industrie-Gesellschaft gebunden.
2. Lösungsansätze mit den der Industrie-Gesellschaft eigenen Methoden und Instrumenten (Technologie- und Produktionsorientierung, Fortschrittsglaube, Wachstum, Universalanspruch...) führen zur Problemfundamentierung und -Verschärfung. Es geht nicht mehr um Produkte und Idealzustände, sondern letztlich um Prozesse, Werte und evolutionäre Veränderungen.
3. Das historischen Bauhaus mit seinen Gestaltungsansätzen war Produkt und Promotor der modernen Industrie-Gesellschaft. Mit den Grenzen der Industrie-Gesellschaft sind auch seine Grenzen sichtbar geworden.
4. Eine Bewältigung der Probleme kann nur aus einem sozio-kulturellen Wertewandel heraus vollzogen werden. Dafür gibt es keine universellen Rezepte, sondern nur regionale Lösungsansätze.
5. Die existenzbedrohte Welt fragt nach exemplarischen Modellen, die ein konkret und regional arbeitendes bauhaus als Labor und Spiegel menschlicher Kultur einbringen kann.
6. Ein Ausweg aus der Krise des Industrie-Zeitalters deutet sich sowohl mit dem kulturellen Bruch als auch mit der Weiterentwicklung von Instrumentarien des historischen bauhauses an.
"quo vadis Industrielles Gartenreich? --www.industrielles-gartenreich.de--
"Kooperation mit der Universität Miami – New Urbanism"
Ergebnis der Charrette 1992 --www.cnu.org--