Die Ausgangslage:
Dommitzsch gehört mit seinen ca. 3.000 Einwohnern zu den typischen Landkommunen: sie schrumpft und überaltert; ihr wird schrittweise die soziale Infrastruktur abgenommen (z. B. Schließung der Mittelschule); die Anbindungen an der öffentlichen Nahverkehr werden kontinuierlich ausgedünnt. Zugleich steigt die Abhängigkeit von externen Versorgern, insbesondere im Bereich der Energie – sowohl bzgl. der Stromversorgung als auch hinsichtlich der Gasversorgung für Wärmeerzeugungszwecke. Dies schlägt sich in wachsenden Belastungen der Unternehmen, der öffentlichen Einrichtungen, aber auch der Bewohner nieder. Dommitzsch und der Städtebund Dübener Heide liegen zudem in einem sog. Hochpreisgebiet für die Energiekosten, wie die Akademie für Raumordnung und Landesplanung im Jahr 2006 ermittelte. Wenn der ländliche Raum als elementarer Faktor für die Sicherung von Ernährung, Erholung, ökologischer Regeneration, Kultur und als Wohn- und Arbeitsort erhalten werden soll, muss grundlegend diesen Tendenzen entgegen gesteuert werden.
Die Vision:
Die Stadt Dommitzsch, wie fast alle Kommunen des Städtebundes Dübener Heide, verfügt über eine wichtige Ressource, die als Einstieg in eine Umkehr der absehbaren Tendenz zur Degradierung des ländlichen Raumes wirken kann: der stadteigene Wald. Darüber hinaus verfügt die Stadt über weitere Ressourcen, die bislang ungenutzt geblieben sind: Abwärme von Unternehmen, die Sonnenenergie, welche in unterschiedlicher Form „angeboten“ wird (als oberflächennahe Erdwärme, als Strahlungswärme, als Biomasse in differenzierter Ausprägung). Doch der Stadtwald ist zunächst DIE Ressource, die der Stadt „kostenlos“ (bzw. mit klar kalkulierbaren Selbstkosten), d. h. also unabhängig von externen Preisgestaltungen, auf die die Kommune und ihre Bewohner bzw. Unternehmen keinen Einfluss haben, zur Verfügung steht. Zugleich ist die Ressource begrenzt: Es bedarf einer wirklich nachhaltigen Nutzungs- und Bewirtschaftungsweise. Mit der Ressource Wald kann nur ein Teil des Wärmebedarfes der Stadt gedeckt werden. Dennoch: dies kann der Einstieg sein in einen längeren Prozess des unabhängig Werdens von externen Energiequellen, die nicht marktgelenkt, sondern durch monopolartige Strukturen preisdiktierend wirken. Insofern bleibt der Kommune und der Region gar nichts anderes übrig, als sich so weit wie möglich von diesen externen Energiequellen unabhängig zu machen. Die Sicherung der Daseinsvorsorge verlangt geradezu die Energieautarkie.
Autarkie meint – im ursprünglichen Sinne – „Selbstgenügsamkeit“. Es geht also nicht um Abschottung, sondern wirklich nachhaltiges Wirtschaften – im Rahmen der verfügbaren Ressourcen, deren intelligente Nutzung und Verknüpfung mit dem notwendigen Stadtumbau. Damit wird Autarkie als eine Verknüpfung von Energieeinsparung, von Energieeffizienz und Ersatz konventioneller durch erneuerbare Energien verstanden. Dieses Zusammenspiel ist zugleich eine Aufgabe, die nicht allein von der Verwaltung bewältigt werden kann und soll. Es ist ein Anliegen aller. Damit wird die Autarkie als Vision eine Herausforderung für den täglichen Umgang mit der Energiefrage. Dabei geht es nicht um Einschränkung – die wird von den externen Kräften betrieben (Kostensteigerungen erzwingen Einschränkungen). Es geht um die Frage eines angenehmen Lebens und Arbeitens im ländlichen Raum – jenseits der Verschwendung. Damit wird das Thema Autarkie zu einem öffentlichen Vorgang, zu einer Art öffentlicher Aktion, in welche Kinder, Berufstätige, Senioren, kurz alle Bewohner einbezogen werden.
Ein erstes Schlüsselprojekt, an dem dies alles gelernt und öffentlich vermittelt werden kann, ist das Mehrgenerationenhaus in Dommitzsch, das nachzunutzende Gebäude der stillgelegten Mittelschule. Hier beginnt, zusammen mit der Grundschule, der Kindertagesstätte und dem Seniorenheim – also im sog. „neuen Bildungsviertel“ von Dommitzsch, der Umbau der Kommune zur energieautarken Stadt im ländlichen Raum. Hier soll eine Nahwärmeversorgung auf Basis der Ressource Holz aus dem Stadtwald einen vollständige Umstellung dieser Schlüsseleinrichtungen für die Sicherung der Daseinsvorsorge in der Stadt gelegt werden. Für dieses Areal, so belegen kalkulatorische Berechnungen, genügen die überzähligen Holzmengen, die nach dem planmäßigen Einschlag jährlich übrig bleiben. Damit kann ein erster Schritt der Vision im Jahr 2008 Wirklichkeit werden.
Die nächsten Schritte sind bereits konzipiert: das Areal um das Teiglingswerk im Süden der Stadt (Nutzung der Abwärme sowie von Abfällen), das Gebiet um das Rathaus im Zentrum der Stadt (Kombination aus Holznutzung und solarer Nutzung) sowie das Wohngebiet im Norden der Stadt (Nutzung von solarer Energie und oberflächennaher Geothermie). Damit wird durch die Schaffung von Inseln der energetische Stadtumbau schrittweise verwirklicht. Dies reiht sich ein in einen Katalog von Maßnahmen in der Region, die das Ziel der Energieautarkie untersetzen und zugleich weitergehend auch die Attraktivität der Region steigern. Die Grundlage für die Umsetzung dieser Maßnahmen bildet die „Neue Pretzscher Erklärung“ des Städtebundes, in welcher für die nächsten Jahre die Schwerpunkte der Kooperation und die Ziele des kooperativen Handelns dargelegt worden sind. Diese Erklärung wurde am 29. Juni 2007 von allen Bürgermeistern des Städtebundes unterzeichnet.
Die Struktur zur Umsetzung von Leitprojekten in Dommitzsch/Städtebund Dübener Heide:
Zur Verwirklichung des Maßnahmenkatalogs regionaler Entwicklung (siehe auch Maßnahmen im Endbericht zur Sicherung grundzentraler Funktionen, Juni 2007) und der schrittweisen Umstellung der Energieversorgung der Stadt-Region auf regenerative Energien als wesentliche Beiträge zur Sicherung der Daseinsvorsorge im ländlichen Raum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze erhält die Gründung einer Umsetzungsstruktur eine Schlüsselrolle. Da es sich bei den Kommunen im Städtebund Dübener Heide um kleine Städte mit kleinen Verwaltungen (und z. T. mit ehrenamtlichen Bürgermeistern) handelt, gewinnt die Schaffung „ausgelagerter“ Umsetzungsstrukturen einen wichtigen Stellenwert. Durch das Engagement der bisherigen kooperativen Akteure (Regionalmanagement, Städtebundkoordination) ist ein beachtlicher Umsetzungsstand des REK von 2001, von Leader+ (bis 2006) und anderer Konzepte sowie ein hohes Maß an regionaler Zusammenarbeit (siehe Neue Pretzscher Erklärung) zu verzeichnen, womit eine solide Ausgangsposition für die nun folgenden Prozess geschaffen worden ist.
Die neue Förderperiode der EU (2007 bis 2013) wird vor allem dadurch gekennzeichnet sein, dass ein „Einstieg in den Ausstieg“ von großen Teilen der bisherigen öffentlichen Förderung erfolgen wird. Natürlich wird es weiterhin Förderung geben, aber sie dürfte deutlich reduziert werden. In diesem Zusammenhang werden neue auf selbsttragende Strukturen zielende Akteure bzw. Akteurskonstellationen gefragt sein, die die Entwicklung – in Zusammenarbeit mit den Kommunen – tragen bzw. befördern. Es wird darauf ankommen, eine optimale Struktur zu finden, die die Kommunen entlastet, ihren Einfluss nicht nur nicht schmälert sondern dauerhaft sichert und letztlich für die regionalen Bewohner eine gute Lebensperspektive ermöglicht. Die entscheidende Grundlage dafür (also letztlich eine zukunftsfähige Stadt- und Regionalentwicklung) ist die effektive und nachhaltige Nutzung der lokalen und regionalen Ressourcen und die Stärkung der regionalen Kooperation. Im Zentrum der Aktivitäten dieser Umsetzungsstrukturen (in der Rechtsform einer GmbH o.ä.) steht also nicht die Gewinnausweitung sondern die – solide finanziell wirtschaftende - auf das Gemeinwohl ausgerichtete Wirkungsweise.
Dieser Zielsetzung folgend, ist eine Umsetzungsstruktur aufzubauen. Dabei geht es nicht um eine sofortige und flächendeckend wirksame Struktur, sondern um einen schrittweisen Aufbau, der in Dommitzsch beginnt und dann regional ausgeweitet werden kann. Es wird vorgeschlagen, 2008 beginnend - in drei Schritten vorzugehen:
1. Etablierung einer Aufbau- und Entwicklungsagentur (als Erschließungsträger in GmbH-Form)
2. Gründung einer lokal wirkenden kommunal bestimmten Stadtwerke-Gesellschaft
3. Ausweitung des Wirkungsbereiches auf die Region, ggf. mit lokalen Dependenzen
Für jede der Entwicklungsstufen ist ein Rahmenkonzept zu erarbeiten und zu beschließen. Die Grundlage ist mit den Konzepten zur grundzentralen Funktionsteilung (Teil 1 und Endbericht, Juli 2007) sowie dem Konzept zum transregionalen thematischen Netzwerk für erneuerbare Energien (Dezember 2007) gelegt worden. Einbezogen werden müssen natürlich auch die ILE-Konzepte (in Sachsen-Anhalt und Sachsen) und die jeweiligen Stadtentwicklungskonzepte. Die regional-politische Basis bildet die Neue Pretzscher Erklärung.
Zu Stufe 1:
- Gründung einer neuen bzw. Nutzung einer vorhandenen GmbH als Agentur/Trägerinstitution
- Schaffung vertraglicher Beziehungen mit den zu beteiligenden Institutionen im Bildungsviertel
- Sicherung des entscheidenden Einflusses der Kommune auf die GmbH und den Prozess (Aufsichtsgremium, Beteiligung bzw. vertragliche Regelung), Start als Regiebetrieb
- Absicherung der Aufbautätigkeit durch Stadtratsbeschluss
- Regelung der Finanzierungsfragen (Bankkredite etc.)
- Erschließung von Anschubfördermöglichkeiten (für das Nahwärmenetz, für den Umbau des MGH, für die Öffentlichkeitsarbeit, für eine wissenschaftliche Begleitung)
- Konstituierung des Betreiber-Netzwerkes
- Vorbereitung/Aufbau der Wärmenahversorgung im Bildungsviertel
- Initiierung des energetischen Umbaus des MGH
- Vorbereitung und Umsetzung von Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit
- Umsetzung von projektorientierter regionaler Kooperation zum Thema erneuerbare Energien (thematisches Netzwerk)
- Konkretisierung der überregionalen/internationalen Kooperation, insbes. zum Thema „virtuelles Kraftwerk“
- Aufbau von langfristigen Partnerschaften mit privaten und öffentlichen Institutionen
- Vorbereitung/Aufbau von Beratung und Fortbildung im Bereich der EEE-Strategie
- Inhaltliche und organisatorische Vorbereitung der 2. Stufe
Zu Stufe 2:
- Gründung eines Stadt-Unternehmens (z. B. Stadtwerke GmbH) in Dommitzsch als Trägerin der weiteren Entwicklung und des energetischen Umstellungsprozesses
- Schrittweise Ausweitung der Geschäftsfelder auf die stadtentwicklungsrelevanten Themen (Abwasser, Abfallnutzung, Wohnungswirtschaft, Ressourcenwirtschaft u.ä.m.)
- Gründung der „Waldstiftung“ (Stiftung zur Bewirtschaftung der regionalen Ressourcen)
- Anbahnung und Übernahme regional wirksamer Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien
- Durchführung von Fortbildungsveranstaltungen und Beratungstätigkeiten für die breite Öffentlichkeit
- Vorbereitung von kommunalen Stadt-Unternehmen in den Mitgliedskommunen des Städtebundes
Zu Stufe 3:
- Gründung eines regionalen Netzwerkes von kommunalen Stadt-Unternehmen als Holding
- Ausbau des Städtebundes zum Aufsichtsrat der Regional-Holding
- Beginn der Umsetzung von regionalen Projekten
- Übernahme der Trägerschaft von regionalen Ereignisveranstaltungen (z. B. gemeinsamer „Tag der Länder“)
- Forcierung eines Bildungstourismus‘ auf dem Gebiet der regionalen Autarkie und von virtuellen Kraftwerken
- weitere Maßnahmen, die im Verlaufe der Entwicklung zu bestimmen sind ...
Umsetzung der ersten Schritte auf dem Wege zur Energieautarkie: Nahwärmenetz im „Bildungsviertel“ in Dommitzsch (Sachsen)
Partner:
Labor für Regionalplanung (Leitung/Konzept); IKV Ingenieurbüro Janicke, Gräfenhainichen (Energieberatung); Design Labor Gräfenhainichen (Layout/Kommunikation); Mitarbeit: Nicole v. Nissen, Christina Mühlner
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Mitteldeutschen Zeitung vom 02. Oktober 2001/ von Claus-Bernd Fiebig