Rezension
Dubai - Stadt aus dem Nichts

Elizabeth Blum, Peter Neitzke (Hg.),
Bauwelt Fundamente 143, Birkhäuser Verlag, Basel, Boston, Berlin, 2009


Im Januar 2010 sanken in Dubai die Immobilienpreise um 10%. So endet das Buch von … Der Autor dieser Rezension besuchte ein Jahr später die sagenumwobene „Stadt“ am Golf und erhielt – unter dem Siegel der Verschwiegenheit von einem Manager eines Projektentwicklers die Auskunft, dass inzwischen der Preisverfall 30% beträgt und der Leerstandauf eben dies Rate gesunken ist, was eigentlich einem Desaster gleich käme, wäre da nicht die Rückversicherung des ölreichen Protektors“ nebenan, des bestimmenden Emirates Abu Dhabi. Die Umetikettierung des welthöchsten Bauwerkes in Dubai, des Burj Dubai in Burj Kalif mag als Indiz dafür angesehen werden, weil, so die inoffizielle Information, das Nachbaremirat den Turm quasi ausgelöst hat, sonst wäre wohl Dubais Traum vorbei gewesen.
Das Buch stellt am Ende die These auf, nach der der Wald aus Wolkenkratzern, ein „Investment-Urbanismus“, genannt Dubai, keine Entwicklung einer Stadt darstellt, wie etwa Manhatten – in Dubai stehen auf gleicher Fläche inzwischen mehr Hochhäuser als im Kern von New York, oder in Shanghai. Beiden Symbolstädten der Moderne ist eigen, dass ihre Hochhausorgien einer Nachfrage folgen, die Bevölkerungs- oder Wirtschaftswachstum heißen. Nicht so in Dubai. Diese „Stadt“, die aus Millionen Kubikmeter aufgetürmter Investmentmasse besteht, „ … dient(en) nicht dazu, eine wachsende Bevölkerung zu beherbergen, ja nicht einmal die zahlreichen Touristen und durchreisend Geschäftsleute. Die mit bester Aussicht versehenen Wohnungen in Dubai Marina und die Villen auf der Palm (Jumeirah) sind überwiegend unbewohnt, sie sind nichts als Hülse der Finanztransaktionen. Dubai ist praktisch eine abstrakte Stadt, Inbegriff des Immobilienkapitals in reinster Gestalt: der Grund dafür, dass die Krise die Existenz der Stadt aufs Spiel setzt.“ Dubai ist, wie immer auch bewertet, eine völlig neue Kategorie von urbanem Anwesen, ein „Luftbildstädtebau“, getragen von „unterkomplexen Lebensstilen“ und gekennzeichnet durch absolute „Rohheiten des Privatistischen“, bei denen Investoren und Kunden unter sich sind und die Angelegenheiten, unter dem schützenden Dach des Herrschers, jenseits einer Stadtöffentlichkeit verhandeln, besser gesagt verspielen. Sie hat nur einen Zweck, kapital zu symbolisieren – sie ist also jenseits aller bisher gedachten Stadtkategorien, sie ist eine „Nichtstadt“, eine „unsichtbare Stadt“. Nur die Ägypter bauten derartige Städte, Nekropolis genannt, Städte für die Toten, die sich auf den Weg ins Jenseits begeben haben.
Mit Dubai ist in dieser Region 4000 Jahre später wieder eine solche „neue“ Stadtdimension kreiert worden. Hatte Miami-Beach vor etwa 100 Jahren mit der ersten Stadt, die nur für Touristen gebaut worden war, einen solchen neuen Typ von Stadt jenseits der industriegesellschftlich fundierten Urbanität geschaffen, so ist Dubai eine ungleich weiter greifende „Stadt“ gelungen – die Ultimo Ratio des Casino-Kapitalismus hat hier architektonische Gerinnung bekommen – kein Ort für Menschen, sondern ein Ort ausschließlich für die Ablage von Finanztransaktionen. Wenn denn Menschen hier sind, dann sind es die, die diese Gebilde errichten, die Unterprivilegierten, denen das Buch im Kapitel „Dubai chalo! oder Wer baut Dubai?“ ein bemerkenswertes Denkmal setzt. Die „Einheimischen“ sind wohl gesondert von diesen meist aus Indien, Pakistan oder Sri Lanka stammenden Menschen in Gated Communities oder burgenähnlichen Quartieren angesiedelt. Doch letztlich sind auch sie nur Staffage im Investmentroulette.
Das seit einem Jahr vorliegende Buch hat an Aktualität noch gewonnen und soll hier ausdrücklich empfohlen werden. In dem Sammelband werden von 12 Autoren unterschiedliche Sichten und inhaltliche Facetten dieser „Stadt aus dem Nichts“ erörtert und fundiert erläutert. Es offenbart sich ein faszinierendes Bild, schillernd, anziehend und abstoßend zugleich, erschreckend und überwältigend. Da es nicht sehr viele Literatur in Deutschland über diese sagenumwobene „Stadt“ aus 2001undeinerNacht gibt, kann diese Textsammlung als unbedingter Einstieg für ein Erschließen dieser „Stadt des 21. Jahrhunderts“ herangezogen werden. „Dubai Speed“ von Michael Schindhelm oder der Beitrag von Harald Bodenschatz in der Bauwelt gehören dazu. Hier finden die Leser Ergänzungen und neue Facetten, die Grundlage ist mit diesem Bauwelt-Fundamente Buch gelegt worden. Es erschließt sich auch für Nichtfachleute und soll auch Studierenden der stadtplanenden, -forschenden und –gestaltenden Disziplinen empfohlen werden.
Lediglich eine Dimension wird unterbelichtet: die Energie- und Ressourcenfrage. Wer die Kaskaden von Ölkraftwerken an der Küste nördlich von Dubai sieht, ist überwältigt. Dieses moderne „Nekropolis“ verbraucht Energie, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Und alles nur, um den Finanztransaktionen eine materielle Gestalt zu geben. Der ökologische Fußabdruck liegt in astronomischen Höhen. Damit erst wird die wahre Bedeutung Dubais sichtbar. Wenn international über den Klimawandel und die menschlichen Anteile daran diskutiert wird, hier kann studiert werden, welchen Aberwitz eine Stadtplanung treiben kann, wenn es nur noch darum geht, nichts zu tun, wenn es nicht ausschließlich der maximalen Verwertung von Anlagen dient. Es kann auch als Denkmal eines Fanals gesehen werden, vielleicht auch manch verborgener Träume fundamentaler Neoliberalisten, die die totale Privatisierung von Raum, gesteuert von einem „Ruler“ und dessen Staatsholding „Nakheel“, den Herrscherstrukturen in den Emiraten, als denkbare urbane Perspektiven ansehen. Wenngleich die Krisenerscheinungen durchaus auch anders interpretiert werden können und Zuversicht aus den Krisenentwicklungen für eine andere Zukunft dieses von „Objektbessenheit“ und „Raumvergessenheit“ geprägten Gebildes entdeckt werden können, wie in dem vorliegenden Buch durchaus auch aufgezeigt wird. Auch darin liegt die Stärke dieses Bandes. Zweifel sind in alle Richtungen angezeigt, in die Dubai gehen könnte.
insgesamt ist neben der Empfehlung zum Lesen und der Aktualität, die dieses Buch besitzt, kritisch vermerkt, dass der Titel eigentlich falsch ist. In Dubai ging und geht es nicht um „Stadt“. Das „Nichts“ hingegen hat eine geradezu kryptische Dimension, ist doch nicht nur die nahezu verschwundene alte Stadt Dubai auf dem Wege in ein urbanistisches „Nichts“ (noch gibt es dort so etwas wie Spuren urbanen Lebens), es ist auch die finanzielle Grundlage ein „Nichts“, denn, so wird im Buch eindrucksvoll aufgezeigt, ist im Grunde alles auf spekulativem Geld gegründet, in Beton gegossene Fiktion. So wäre vielleicht nach der Lektüre des Buches dessen Titel als „Urbaner Schein aus Nichts“ treffender. Saudische, indische und andere internationale Finanzinvestoren treiben den Hipe am Golf ungebrochen voran. Was aus dieser Betonwüste werden kann, ist unklar, Stadt aber wohl eher nicht. Vielleicht eine Attraktion für Touristen, die nach einem Besuch der ägyptischen Pyramiden noch die Nekropolis am Golf mit Kamelen durchqueren wollen …


Harald Kegler
2010-05-20

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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