Harald Kegler
New York ist nicht Amerika, doch ohne New York ist Amerika nicht zu
verstehen. Bombay ist nicht Indien, doch ohne Bombay hat man Indien nicht
gesehen. Bombay (Mumbai) ist eine Stadt der Moderne. Sie ist von „Geburt an“
eine künstliche Ansiedlung, dem Meer abgewonnen und immer wieder modernisiert.
Sie ist das Sinnbild des Subkontinents, dessen ökonomisches Herz und zugleich
eine Stadt der Superlative, ohne die typischen Merkmale einer Global City im
Erscheinungsbild aufzuweisen. Bombay ist nicht New York. Doch Bombay möchte dies
gern sein – überall hängen Plakate mit Hochhäusern, die suggerieren, wie Bombay
im Jahr 2050 aussehen wird: modern, so wie jede andere Metropole dieser globalen
Megacity-Community zwischen Shanghai und Sao Paulo. Wir sprechen über Städte der
Superlative, die wir in Europa nicht haben und nicht haben werden: „Städte“, die
über 20 Millionen Einwohner zählen, deren BIP größer ist als das vieler
europäischer Staaten und die schier unaufhaltsam wachsen. Dennoch ist Bombay
eine europäische Groß-Stadt, vielleicht die europäischste Indiens überhaupt, die
zugleich „indianisiert“ wird. Zwischen Marine Drive und New Bombay spannt sich
der Bogen, der alle Elemente der Stadt- und Regionalentwicklung in der
Übergangsphase von der industriellen zur postindustriellen Entwicklung unter den
Bedingungen eines postkolonialen Landes aufweist: Laboratorium Bombay - New
Bombay.
Dieses Laboratorium ist Gegenstand der Tagestour vom Marine Drive an der
Westküste der Stadt bis zum neuen Entwicklungshorizont im Osten, den neuen
„urbanen“ Zonen, die die Kernstadt entlasten sollen und zugleich einen Weg
markieren mögen, den die indische, urbane Gesellschaft nehmen wird. Ein
atemberaubender Weg eröffnet sich, voller Widersprüche, Risiken und mit einer
unerhörten Dynamik. Wenn die Demografen Recht haben, dann wird Bombay/New Bombay
in der Mitte des 21. Jahrhunderts ca. 50 Millionen Einwohner zählen – die
Planungen deuten auch in diese Richtung. Dies wäre dann wohl die weltgrößte
Agglomeration, deren Dimensionen und damit zusammenhängenden Fragen nach einer
„Beherrschbarkeit“ einer solchen „Menschenhäufung“ nicht mehr beantwortbar
erscheinen. Hier entsteht eine vollkommen neue Art gedrängten Daseins von
Menschen, das bislang als Stadt bezeichnet worden ist. Bei der Durchfahrt von
West nach Ost passiert der Betrachter jene Areale, die diesen zukünftigen
Zustand von „Stadt“ ausmachen dürften: dichte Bebauungen und immer wieder die
Slums. Bombay/New Bombay ist ein „Planet Slum“. Zwei krasse Welten treffen
aufeinander, die in keinem Planungslehrbuch auftauchen und die im Zukunftsplan
für Bombay und für New Bombay keinen Platz haben: „Mud“ …
Der Tag auf dem Weg in eine Zukunft: Sonntag, 18. Februar 2007
07.15 Uhr Wecken, Frühstück im Hotel – im Herzen des britischen Bombay am Marine
Drive
08.45 Uhr Abfahrt nach New Bombay (Navi Mumbai) mit der Aussicht, in einen der
täglichen Megastaus zu kommen – doch bleiben wir verschont – sonntags sind die
Strassen nur voll
10.00 Uhr Zwischenstopp im Hotel Supreme Heritage mit Einführung in die
Rundfahrt durch New Bombay – Rundfahrt durch das nördliche Gebiet mit der SEZ
(Special Economic Zone) und dem darin gelegenen Millenium Business Park (in
Mahape -1-, im Zentrum der industriellen Bandstadt zwischen Thane Creek und
Parsik Hill), einem Hochsicherheitstrakt der wirtschaftlichen Entwicklung,
eingebettet in ein chaotisches Meer von Infrastrukturanlagen und sich
ausbreitenden Slums
11.45 Uhr Aufstieg zum Parsik Hill -2- mit Blick auf Kharghar, ein Teil des
nordöstlichen Erweiterungsgebietes von N.B., wo heute noch ein Dorf romantisches
Dasein fristet, zukünftig ein Nobelviertel sein dürfte
15.15 Uhr Mittagessen wieder im Hotel
16.00 Uhr Vortrag von Vertretern der Development Company für N.B., CIDCO, eines
Planungs- und Entwicklungskonzerns
17.00 Uhr Fahrt durch den CBD nach Süden in das zukünftige industrielle
Entwicklungsgebiet mit dem neuen Hafen, dem JNPT, eine Fahrt ins „Nichts“, das
die Dimensionen und die Qualitäten der Infrastruktur von N.B. erspüren ließ
(insbesondere für die Businsassen auf den hinteren Bänken)
18.00 Uhr zurück auf der Westseite von Bombay, Besichtigung eines der neuen
Mittelstandsgebiete im urbanen, neotraditionellen Habitus, das in jüngster Zeit
entstanden ist und ein neues Kapitel urbaner Kultur aufschlägt – die Konkurrenz
zu N.B. (Hiranandani Gardens –3-), mit Stadtbummel und Besuch einer Wohnung im
Hochhaus „Tivoli“ im 26. Stockwerk
20.00 Uhr Rückfahrt zum Hotel, vorbei an der Wasserfront des Chowpatty Beach,
dem Tor zum Marine Drive und dem Nobelviertel Malabar Hill
21.30 Uhr Abendessen
23.15 Uhr Nachtruhe
Plan der Stationen des Tages:
Der Plan und die Wirklichkeit.
New Bombay ist ein typisches Planungsprodukt der Nachkriegsmoderne europäischer
Provenienz: Eine „Entlastungsstadt“ gegenüber der alten Stadt. Ähnliches findet
man in Belgrad und Novi Beograd, in Halle und Halle-Neustadt, in Paris und
Nantere, u.ä.m. Stets sollte nicht nur einem wachstumsbedingten Bedarf
gehorchend neuer Entwicklungsraum für die existierende alte Stadt geschaffen
werden, sondern zugleich auch ein symbolischer Akt vollzogen werden: Es galt,
eine „bessere“ Stadt als die alte zu bauen. Diese sollte sich vor allem durch
klare Rationalität in der Funktionstrennung und der Autoorientierung sowie in
der modernen Architektur und Stadtkomposition auszeichnen. Dabei wurde oft das
Ziel verfolgt, den überkommenen Entwicklungspfad der Stadtentwicklung - meist an
Eisenbahnlinien oder Wasserkanten entlang - zu brechen und eine neue
Entwicklungsrichtung zu eröffnen. So auch in Bombay: Aus der
Nord-Süd-Orientierung sollte eine West-Ost-Richtung werden, die parallel zur
„alten“ Stadt eine völlig neue, zudem postkoloniale darstellen sollte.
Europäischer ging es aber nicht! Eigentliches Ziel war es, einen
Modernitätsbeweis des neuen Indiens anzutreten. Die jungen Planer Mehta, Patel
und Corea initiierten 1965 die Diskussion über eine neue Stadt jenseits des
Thane Creek. Die neue Stadt sollte als Bandstadt angelegt werden, in deren Kern
ein CBD lag. Zur Umsetzung wurde der staatliche Planungskonzern CIDCO 1970
gegründet. CIDCO managet alles – von der Stadtplanung bis zum Marketing für
Büros und Wohnungen. Im Zentrum der Aktivitäten aber stehen
Infrastrukturprojekte und Bodenmanagement. Die Struktur der Professionen
widerspiegelt dies:
Planners & Architects : 042
Engineers : 450
Economists : 005
Marketing : 050
Estate Management : 050
Lands (Acquisition & Records): 050
Finance and Accounts : 005
Legal : 002
Computer programmers : 010
Total : 664 (von insgesamt 2.200 Mitarbeitern)
CIDCO fungiert als eine Art „Zwischenhändler“. Die Firma erzielt über
Planungsgewinne ihren Erlös, der z. T. an den Staat abgeführt wird, z. T. selbst
reinvestiert wird.
Die 1970 begonnene Planung teilte das Gebiet von New Bombay in
Entwicklungsareale ein, die sternförmig vom CBD ausstrahlen. Dabei sind die
Wohngebiete westlich und die Industriezonen östlich angeordnet, ganz im
funktionalen Sinne. Das Zentrum, der CBD, ist um ein Watlandsareal gruppiert,
das die Wassermassen des Monsuns aufnehmen soll. Das gesamte Gebiet von New
Bombay erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung auf einer Strecke von fast 40 km und
in Ost-West-Ausdehnung von etwa 15 km. In der Struktur wird die Bandstadt von
„Alt“-Bombay gedoppelt. Den wirtschaftlichen Schwerpunkt wird in Zukunft das
Gebiet um den neuen Hafen im Süden darstellen, der den alten von Bombay
vollständig ersetzen wird. Der neue Hafen soll dann durch eine Mega-Brücke mit
dem alten Stadtgebiet von Bombay verbunden werden, um die Nabelschnur, an der
jetzt New Bombay hängt, zu entlasten. Damit ist insgesamt auch der Weg dieser
neuen Stadt vorgezeichnet: Es wird nicht eine Lösung der Probleme sein, so steht
zu vermuten, sondern eine Verstärkung.
Die Firmenansiedlungen in N. B.– „Arbeitslager“ der Zukunft …
Zudem werden bereits die nächsten Erweiterungen geplant: „Navi-Mumbai ++“ – eine
weitere Ausdehnung der Stadt nach Südosten und Nordosten … angebunden durch jene
Mega-Brücke!
War New Bombay für 2 Millionen Einwohner geplant, so dürfte sich die
Einwohnerzahl bereits verdoppelt haben und mit den neuen Erweiterungen nochmals
in die Höhe schrauben.
Plan für New Bombay (abschließender Planungsstand 1993)
Legende: gelb – Wohnen, lila – Industrie, orange – Hafen bzw. Flughafen
blau – CBD, grün – Berge mit Bewaldung
Der ursprüngliche Plan dient heute nur noch als Orientierungsrahmen, der die
Ankervorhaben (neuer Hafen, neuer Flughafen, neue Erweiterungsgebiete, Zentrum
und Verkehrsanbindung) darstellt. Das soziale Anliegen der Planer von 1965 ist –
wie sie selber feststellen - faktisch gescheitert. Dafür können drei Ursachen
ausgemacht werden:
1. die neue Stadt wurde der „alten“ als Vorzugsgebiet gegenüber gestellt, womit
letztere abgewertet werden sollte, was aber der Realität widersprach – die
Aussicht, durch geringere Bodenpreise eine schnellere Entwicklung vornehmen zu
können, gelang nur anfangs;
2. die neue Stadt wurde vornehmlich als Wirtschaftsraum geplant und entwickelt,
die anderen Funktionen (insbes. Wohnen) waren daraus abgeleitet, was erschwerend
für die Ausprägung einer eigenständigen Identität wirkte – es blieb bei dem
Charakter als „New“ Bombay, also der kleineren Schwester, die zudem nur als
Katalysator der industriellen Modernisierung fungiert;
3. die ökonomische Bindung der Bewohner, insbes. der Slumbewohner, aber auch
vieler Mittelständler ist an „alt“ Bombay geknüpft, eine Umsiedlung bedeutete
für diese Schichten einen enormen Verlust, lediglich diejenigen, die als
Bauarbeiter oder Dienstleister der neuen Industrien nach Bombay kamen, siedelten
sich gleich in New Bombay an.
Mit dem Bau der neuen Stadt sollte auch, so eines der Planungsziele, die Lösung
der Slumfrage in „Alt“-Bombay betrieben werden:
„In den 1970er Jahren nahmen die städtischen und staatlichen Behörden ein
äußerst ambitioniertes Projekt zum Bau einer modernen Zwillingsstadt auf dem
Festland gegenüber von Bombay in Angriff. Den städtischen Armen wurden neue
Wohnungen und Arbeitsplätze im funkelnden New Bombay (heute Navi-Mumbai)
versprochen, aber tatsächlich wurden die Festlandsbewohner umgesiedelt, und sie
verloren Land und Lebensgrundlagen, während der größte Teil des neuen
Wohnungsbestands an Beamte und die Mittelklasse ging.“ (Davis, S. 71) In
„Alt“-Bombay blieben die Verhältnisse unverändert, im Gegenteil, die Slumgebiete
wuchsen in den Jahren des Baus von New Bombay in noch schnellerem Maße. Zugleich
wuchsen neue Slums in den neuen Stadtteilen von New Bombay. Das „Spiel“ der
Besiedlung begann dem der alten Metropole zu gleichen. Die Frage der
Unterbringung der Hälfte der Bewohner Bombays – 48,9 % wohnen in Slums (Mumbai
Report, S. 10) – kommt in den Darstellungen von CIDCO, des quasi-staatlichen
Developers, nicht vor. So gibt es prinzipiell keine erkennbaren
Lösungsstrategien für die „Begleiterscheinung“ des wirtschaftlichen Wachstums.
Es wird, so scheint es, zwar zur Kenntnis genommen, aber nicht als Gegenstand
ernsthafter Planung in Angriff genommen, zumindest nicht in dem Maße, wie die
wirtschaftliche Entwicklung vorangetrieben wird.
Die andere Zukunft von New Bombay …
Den Hauptteil der Entwicklungsarbeit konzentriert das Unternehmen auf die SEZ,
die Special Economic Zone, eine nach chinesischem Modell entwickelte Strategie.
Die drei großen SEZ in New Bombay stellen das Rückgrad für die neue Stadt dar.
Sie bilden den eigentlichen Zweck von New Bombay. Hat sich anfänglich noch die
neue Stadt als Entlastung des Entwicklungsdrucks der alten Stadt gesehen, so ist
die neue Stadt nunmehr zu einer „Freihandelszone“ geworden – bzw. auf dem Weg
dahin. Die städtebauliche Struktur ist in einem Konglomerat von Baulichkeiten
aufgegangen, das kaum noch Konturen aufweist, additiv und fragmentiert wirkt.
Das Zentrum, der CBD, hat nichts mit einem Stadtzentrum zu tun, der irgendwelche
urbanen Qualitäten aufweist. Business ist alles … Die Hochglanzbroschüre von
CIDCO suggeriert „We make Places“, aber es entstehen alles andere als „Orte“ –
es werden austauschbare Infrastrukturen und Wohnkomplexe, die in das Bild der
globalen Beliebigkeit von Metropolen in den „Schwellenländern“ nahtlos eingefügt
werden können, errichtet. Für New Bombay wird das Leitbild: „Super City of the
World” propagiert.
Dies widerspiegelt sich auch in der geplanten Zusammensetzung der
Einkommensgruppen in den Wohnbereichen:
(Low-Income, Middle-Income, High-Income als die drei sozialen Kategorien, nach
denen die Stadtgesellschaft von N. B. gegliedert wird – soweit sie sich eine
Wohnung leisten können - ohne die Oberschichten)
Navi Mumbai | New Towns | Total | |
EWS / LIG | 51,627(47%) | 48,250 | 99,877 (61%) |
MIG | 33,051(30%) | 4,560 | 37,611 (23%) |
HIG | 25,491(23%) | 1,014 | 26,505 (16%) |
Total | 110,169(100%) | 53,824 | 163,993 (100%) |
Diese quantitative Darstellung erklärt nicht den wirklichen sozialen Status, der mit diesen drei Kategorien umrissen wird – die Slums am Wegesrand kommen nicht vor.
Das Bild von New Bombay …
Insgesamt nimmt New Bombay den Charakter einer “Technocity” an: Eine
vorstädtischen „Arbeitersiedlung“ um die high-tech-Industrie des 21.
Jahrhunderts. Die neuen „kreativen Klasen“ aber fragen andere urbane Areale
nach, in denen sie eine Durchdringung von kreativer Arbeit, Wohnen und Alltag
sowie Freizeit in Nähe der Zentren realisieren können. International zeichnen
sich vergleichbare Trends ab, die unter dem Label der „Urban Renaissance“
firmieren – Bombay ist auf der Höhe der Zeit.
Die Rückkehr in die „alte“ Stadt markiert ein neues Wohngebiet am Powai Lake,
Hiranandani Gardens, geradezu symbolisch gegenüber dem Hotel „Renaissance“ und
in Sichtweite vom berühmten Bollywood gelegen. Der erste Eindruck beim Erreichen
des großen Wohngebietes überrascht, hebt sich dieses Gebiet doch von dem
Konglomerat der neuen Stadt jenseits der Bucht ab. In einer neotraditionellen
Formensprache gehalten zeichnet sich das gesamte Areal durch einen hohen Grad an
Urbanität aus. Alles ist fußläufig erreichbar, es gibt breite Bürgersteige – in
New Bombay gibt es so gut wie keine, es gibt eine klare Struktur der
Straßenquerschnitte mit Dichte und hoher Qualität in der Ausstattung – dazu die,
nicht für die Öffentlichkeit zugänglichen, aber einsehbaren, Wohngärten um die
Wohnhochhäuser. Lediglich eine Buslinie verbindet den Stadtteil mit dem Zentrum
– ein Umstand, der bemängelt wird. Die Hauptstrasse ist jeweils mit einem Point
de vue – einer Säule oder einem markanten Bauwerk gefasst. Bombastisch, aber
auch urban wird der Eingang in das Shoppingcenter markiert.
In dem Gebiet haben sich zahlreiche internationale Firmen mit ihren
Niederlassungen angesiedelt und viele der Softwareschmieden und Callcenters sind
ebenfalls hier. Die „kreative Klasse“ sucht die Urbanität und kehrt – in
Ansätzen - New Bombay den Rücken. Das gesamt Areal ist Privateigentum und wird
von Sicherheitsdiensten beaufsichtigt. Dennoch ist es keine „Gated Community“.
Die Häuser verfügen über normale Concierges und sind nur für die Bewohner
zugänglich. Die Strassen machen einen ausgesprochen sauberen Eindruck und laden
zum Flanieren ein, sofern der Straßenlärm – für unsere Ohren - so etwas in
Bombay überhaupt zulässt. Hier wohnen die oberen Mittelschichten, wie die
Begleiterin der Gruppe, eine Architektin mit eigenem Büro. Diese 100 qm große
Wohnung kostet 200.000 Euro (20% sind als Anzahlung notwendig).
Der Developer hatte das Areal vor 50 Jahren zu einem Spottpreis von umgerechnet
1 Euro/qm erworben (heute sind die Preise auf bis zu 2.000 Euro/qm gestiegen).
Vor 20 Jahren geplant, wird das Areal (zunächst 200 Acre) seit 10 Jahren als
urbanes Wohn- und Geschäftsgebiet mit Büros, Hotel, Krankenhaus, Cafes,
Einkaufszentrum und Schule - alles privat - entwickelt und vermarktet sich sehr
gut. Inzwischen baut das Unternehmen in anderen Teilen Indiens Gebiete nach dem
gleichen Modell.
Aus dem 26. Stockwerk der großen 4-Raum-Wohnung erscheint Bombay als eine
Gegen-Welt zur der in New Bombay – tatsächlich urban und für die oberen
Schichten anziehend – und dennoch unwirklich.
Versuch eines Fazits und eines Szenarios
„Bei Indien darf man nie vergessen: Für jede einzelne Erkenntnis, zu der man
über dieses riesige und komplizierte Land kommt, kann immer auch das genaue
Gegenteil zutreffen“ (Joan Robinson)
Sicher verbietet ein so flüchtiger Blick aus dem fahrenden Bus auf ein so
komplexes und kaum überschaubares Entwicklungsgebiet wie New Bombay eine
schnelle Bewertung. Und sicher wäre auch die Planungsgeschichte von New Bombay
im Kontext der Entwicklungstrends in vergleichbaren Städten der Welt und dem
Einfluss europäischer Stadtplanung gründlicher zu erörtern gewesen – und aus
verschiedenen Blickwinkeln, doch kann auch eine Hypothesen zur Zukunft einer
Megacity wie Bombay/Mumbai gewagt werden: New Bombay wird der quasi-urbane,
industrielle „Hinterhof“ einer erstarkten „alten“ Stadt Bombay, die sich ihres
kolonialen Erbes wieder zuwendet und neue Mittelschichten sowie Unternehmen in
das Gebiet des historischen Zentrums und der erneuerten nördlichen Gebiete
zieht. Der Marine Drive wird zur internationalen Wasserfront mit neuer
Ausstrahlung – ähnliches vollzieht und vollzog sich ja an den vergleichbaren
Wasserfronten von Metropolen wie der Copacabana in Rio, in Tel Aviv oder – in
Ansätzen - dem Malecon in Havanna. Wenn das alte Hafengebiet an der Ostseite der
Halbinsel von Bombay ebenfalls neu gestaltet worden ist, dürfte Bombay Down Town
eine Renaissance erfahren – mit allen Widersprüchen, die absehbar sind. Dies
wiederum wird New Bombay zusätzliche Schwierigkeiten bereiten – Hafen und
Flughafen bringen allein keine neue Urbanität und keine zahlungskräftigen
Schichten. Die Orientierung auf die Infrastrukturentwicklung birgt für New
Bombay die Gefahr einer weiteren Ent-Profilierung, werden doch die erfolgreichen
Unternehmen nach „Alt“-Bombay ziehen. Zugleich wird sich der Slumgürtel von New
Bombay stabilisieren und vergrößern. Es steht zu befürchten, dass – wenn
überhaupt eine Sanierung der Slums erfolgt - dann in „Alt-Bombay. Die
Verkehrsprobleme werden sich ebenfalls verstärken, da die gigantische Brücke
erst in 10 Jahren zur Verfügung stehen dürfte – bis dahin werden aber die
Weichen bei den Standortentscheidungen für Alt-Bombay gestellt sein, da das
derzeitig Nadelöhr einen wachsenden Verkehr kaum problemlos aufnehmen kann. Die
Bauarbeiten an der Brücke über die Bucht von Mahim Bay deuten in die Richtung,
dass ein Schwerpunkt der Stadtentwicklung auf „Alt“-Bombay und dessen Norden
gelegt werden dürfte. New Bombay wird eine „normale“ Edge-City der verschiedenen
Infrastrukturcluster werden, die als suburbane Business-City mit Wohnanteilen
und Slumsaum in eine ungewisse Zukunft driften. Damit könnte der neuen Stadt ein
ähnliches Schicksal bevor stehen, wie es auch in anderen Zwillingsstädten zu
verzeichnen ist: sie werden „städte zweiter Wahl“. Welche Strategien für ein
ganzheitliches Bombay entwickelt werden, kann nur vermutet werden, wenn als
Zielmarken für die Stadtentwicklung durch die Regierung die erfolgreichen Städte
Cleveland in den USA (Vorzeigestadt für den Umbau einer alten Industriestadt)
und Shanghai (Modell einer Boomtown) ausgegeben werden. (Mumbai Reader, S. 14
ff) New Bombay ist weit von beiden entfernt.
Die „kreative Klasse“ hat sich entschieden – nächtliche Straßenszene in
Hiranandani Gardens.
Literatur
Urban Design Reserch Institute (2006): Mumbai Repprt
Müller, H. (2006): Weltmacht Indien, Frankfurt/M.
Davis, M. (2007): Planet Slum, Berlin
Kamdar, M. (2007): Planet India, New York
Joan Robinson, zit. in: Vir Sanghivi (2007): Indien heute, in: National
Geographic „Mythos Indien, S. 20
Fotos: Harald Kegler
Pläne: CIDCO
Die Teilnehmer der Fachexkursion:
Hilflose Suche nach der Urbanität – Blick auf New Bombay
Finden neuer Urbanität – mit Hilfe der neuen Mittelschichten …
"Nur eine gute Idee? Das industrielle Gartenreich Dessau-Wörlitz-Bitterfeld"
Rezension
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Stadt Dommitzsch – auf dem Wege zur energieautarken Kommune:
New Bombay/Navi Mumbai sowie Hiranandani Gardens
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Konzeption für den Projektablauf “Neues Leben am Markt”, Merseburg, 2003-2004
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Florida - die weltgrößte, wachsende Urlauberstadt
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New Urbanism als Strategie für die regionale Stadt?
New Urbanism – Bewegung und Strategie für die postmoderne Stadt
New Urbanism als Strategie für die regionale Stadt?
Linde für die Stadt aus Eisen
Mitteldeutschen Zeitung vom 02. Oktober 2001/ von Claus-Bernd Fiebig